# taz.de -- Einheitsgedanke hielt nicht lange | |
> Verdi erinnert an die Gründung der Nachkriegsgewerkschaften vor 80 Jahren | |
> in „Groß-Berlin“ | |
Von Peter Nowak | |
Am 15. Juni 1945 initiierten kommunistische, sozialdemokratische und | |
christliche Gewerkschafter*innen einen Aufruf zur Gründung eines | |
„vorbereitenden Gewerkschaftsausschuss für Groß-Berlin“. Dieses Dokument | |
gilt als die Geburtsstunde der Berliner Nachkriegsgewerkschaften. Am | |
Dienstagabend wurde mit einer gut besuchten Veranstaltung in der | |
Verdi-Bundesverwaltung an dieses Jubiläum erinnert. | |
Dem Historiker Henning Fischer gelang es in einen halbstündigen Vortrag, | |
die Geschichte der Berliner Gewerkschaftsgründung anschaulich zu | |
vermitteln. Dabei machte er mit Zitaten aus Dokumenten aus Archiven | |
deutlich, dass diese oft in einer bürokratischen Sprache verfasst wurden. | |
So wird an einer Stelle, die der Gewerkschaftsforscher nicht ohne Ironie | |
zitierte, von der „verhältnismäßigen Allmählichkeit“ gesprochen, wenn v… | |
langsame Wachstum der Gewerkschaften die Rede ist. | |
Fischer ging nicht nur auf die Aufrufe der Gewerkschaftsfunktionäre, | |
sondern auch auf die Aktivitäten der Gewerkschaftsbasis ein. Die wurde in | |
Berlin schon Anfang Mai 1945 aktiv, als das NS-Regime noch nicht | |
kapituliert hatte. Zunächst ging es um die Beseitigung der Trümmer in | |
Großbetrieben sowie um die Beschaffung von Wohnraum und Essen. | |
Eine zentrale Aufgabe der Gewerkschaften war die Entfernung von bekannten | |
Nazis aus den Betrieben, auch auf der Ebene der Meister und | |
Betriebsleitung. Dafür wurde in den Jahren 1945 bis 1947 sogar in mehreren | |
Berliner Betrieben gestreikt. Damals war sowohl bei der Gewerkschaftsbasis | |
als auch bei den Funktionär*innen der Wunsch nach Einheit dominierend, | |
betont Fischer. Der Gewerkschaftsforscher sah darin eine Konsequenz aus den | |
Erfahrungen der Weimarer Republik, wo eine gespaltene | |
Arbeiter*innenbewegung den Aufstieg des NS nicht verhindern konnte. | |
Doch dieses Bekenntnis zur Gewerkschaftseinheit hielt nicht lange. Fischer | |
beschreibt, wie in den Berliner Gewerkschaften schon ab 1947 die alten | |
Spaltungslinien zwischen Sozialdemokrat*innen und | |
Kommunist*innen wieder aufbrachen. Gefördert wurde das durch den Kalten | |
Krieg in der Frontstadt Berlin. Einer der Höhepunkte war der mehrwöchige | |
Streik der Beschäftigten der Reichsbahn im Mai und Juni 1949. Die | |
Westberliner Beschäftigten forderten von der Reichsbahn mit Sitz in | |
Ostberlin eine Auszahlung ihrer Löhne in West-Mark. Doch es war auch ein | |
Kampf zweier Richtungen in den Berliner Gewerkschaften. Die | |
sozialdemokratisch orientierte Unabhängige Gewerkschaftsopposition (UGO) | |
streikte gegen den von der SED dominierten Freien Deutschen | |
Gewerkschaftsbund (FDGB). Die Streikgelder zahlte der Westberliner Senat. | |
Nach mehreren Wochen ordneten die westlichen Stadtkommandanten das | |
Streikende an. Zu diesem Zeitpunkt hatten parteipolitische Konflikte die | |
Gewerkschaftseinheit endgültig untergraben. | |
Fischer erinnerte auch die unabhängigen Linken, die vor dieser Entwicklung | |
gewarnt hatten. So polemisierte die Gruppe Arbeiterpolitik gegen die | |
„Hanswurste aus SPD und SED“, die die Einheit der Arbeiter*innen | |
torpedierten. | |
17 Jul 2025 | |
## AUTOREN | |
Peter Nowak | |
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