# taz.de -- „Ich glaube an unsere Macht“ | |
> Ging es Frauen unter Assad besser als unter der islamistischen Regierung | |
> heute? Die syrischeForscherin Kholoud Mansour-Herslow beobachtet die Lage | |
Von Serena Bilanceri | |
Als im Mai 2025 die internationalen Sanktionen gegen Syrien aufgehoben | |
wurden, warnten Beobachtende davor, den neuen Machthabern der | |
islamistischen Übergangsregierung zu früh zu vertrauen. Als Schlüsselfrage | |
gilt neben der friedlichen Koexistenz der unterschiedlichen | |
Religionsgruppen auch die Lage der Frauen. Doch die war und ist so | |
unterschiedlich wie der Vielvölkerstaat selbst. | |
Vor allem hängt sie stark vom Geburtsort ab, sagt die syrische Forscherin | |
Kholoud Mansour-Herslow. Selbst innerhalb der autonomen kurdischen Region | |
Rojava leben Frauen in Städten wie Qamishli anders als etwa in der | |
arabischen Ex-IS-Hochburg Raqqah. In kurdischen Städten wie Qamishli sind | |
Frauen häufig alleine unterwegs; über Feminismus zu sprechen, ist kein | |
Tabu. In den alawitischen Gebieten wiederum geht es anders zu als in Idlib, | |
wo die HTS schon länger regiert. Entscheidend sind aber nicht nur Gesetze | |
und Kultur, sondern eine Vielzahl von Faktoren, so Mansour-Herslow. Etwa | |
die internationale Finanzierung von Projekten, die Frauen unterstützen, | |
oder das politische Klima. | |
In den Städten haben Frauen mehr Möglichkeiten als in Dörfern oder | |
Flüchtlingslagern. Drusinnen sind tendenziell freier als ultrakonservative | |
Sunnitinnen. Jüngere Drusinnen tragen seltener Kopftuch und arbeiten | |
häufiger außerhalb des Hauses. Doch selbst in der sunnitischen Gesellschaft | |
finden sich kaum zwei Frauen, die sich über Frauenthemen und Lebensart | |
einig sind. Manche finden, der Islam respektiere die Frau, und fühlen sich | |
unter der Scharia geschützt, andere sehen religiösen Dogmatismus als | |
Einschränkung ihrer Freiheit und fordern lauthals einen laizistischen | |
Staat. | |
Auch unter dem langjährigen Diktator Assad war die Lage nicht überall im | |
Land gleich. Er selbst inszenierte sich als Unterstützer der Frauenrechte. | |
In den Regionen, die das Regime kontrollierte, gab es seit 2011 einen | |
gewissen Raum für Genderarbeit – solange dies alles Politische vermied, | |
erklärt die Forscherin. Doch wirklich frei waren Frauen unter Assad deshalb | |
noch lange nicht. Laut Weltbank arbeiteten in Syrien 2024 nur 13,3 Prozent | |
der Frauen. Zugleich schlossen jedoch mehr Frauen als Männer die | |
Mittelschule ab. 2016 waren 47 Prozent aller Studenten weiblich. | |
Am 8. Januar, nur einen Monat nach dem Fall der Diktatur, nahm | |
Mansour-Herslow an der ersten Konferenz der „Politischen Bewegung der | |
Syrerinnen“ mit rund 350 Personen in Damaskus teil. Probleme habe es keine | |
gegeben, erinnert sie sich. Dafür Raum für Diskussion. Gleichzeitig sehe | |
man ebenso Anzeichen, die für Frauenrechte nicht vielversprechend sind. | |
Doch eine eindeutige Positionierung der syrischen Regierung lässt sich | |
bislang nicht erkennen. | |
In den vergangenen Monaten sorgten jedoch Aussagen von Politiker*innen | |
für Aufruhr, etwa über die „biologische Natur“ der Frau, die sie für | |
Stellen in der Justiz und beim Militär ungeeignet mache. Oder das Vorhaben, | |
in Schulbüchern weibliche, historische Figuren wie Palmyras Königin Zenobia | |
zu streichen. Oder auch die Entscheidung des jetzigen | |
Tourismusministeriums, Frauen nur in Burkinis oder ähnlicher Kleidung an | |
Stränden zuzulassen. Die Ernennung einer einzigen Ministerin in der neuen, | |
23-köpfigen Regierung sorgte zudem für gemischte Reaktionen: Für die einen | |
war es ein Zeichen von Öffnung, den anderen ging es nicht weit genug. Auch | |
der gesetzliche Rahmen sei noch mangelhaft, so Mansour-Herslow. „Aber ich | |
glaube an unsere Macht, die Lage zu ändern. Nach 50 Jahren Unterdrückung | |
unter Assad glaube ich nicht, dass die Syrer*innen die nächste Diktatur | |
zulassen werden.“ | |
1 Jul 2025 | |
## AUTOREN | |
Serena Bilanceri | |
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