| # taz.de -- Reportage aus Trumps Amerika: Nacktfotos mag er gar nicht | |
| > Clinton ist Rentner, Demokrat, Bernie-Sanders-Fan, religiös, | |
| > gesellschaftskonservativ und Waffenbesitzer. Eindrücke aus dem Alltag im | |
| > Trump-Amerika. | |
| Bild: Der Clinton, den unser Autor trifft, hat mit seinem lachenden Namensvette… | |
| [1][taz FUTURZWEI] | Als Clinton mich fragt, wie es mir geht, weiß ich erst | |
| nicht, was ich antworten soll. | |
| Ich fliege nach drei Monaten Aufenthalt aus den [2][USA] zurück nach | |
| Deutschland. Mathilda sitzt neben mir, und Clinton ist der Vorname des | |
| Mannes, der uns zum Flughafen fährt. | |
| Drei Monate haben wir in Easton, Pennsylvania, in einem Haus gelebt. | |
| Während die ersten 100 Tage der neuen [3][Trump-Regierung] verstrichen, | |
| sind wir 6.000 Kilometer durchs Land gefahren, um mit allen möglichen | |
| Leuten zu sprechen. | |
| „Mir geht es super“, sage ich schließlich und denke daran, wie sehr mir die | |
| amerikanische Gesprächskultur fehlen wird. | |
| Mit Mathilda habe ich in Diners stundenlang darüber diskutiert. | |
| „Die Kellnerin hat gerade wörtlich übersetzt gesagt. ‚Ich bin so | |
| erleichtert, dass es euch geschmeckt hat‘“, hatte sie mir verwundert in | |
| unserem Lieblingsfrühstücksrestaurant gesagt. „Stell dir mal vor, das würde | |
| jemand in Deutschland sagen, die Leute wären doch super skeptisch!“ | |
| ## Adornitische Alltagseindrücke | |
| Wenn es eine typisch deutsche Alltagsirritation in Amerika gibt, dann ist | |
| es die Attitüde, die Kassierer:innen und Kellner:innen in Restaurants oder | |
| Einkaufsläden an den Tag legen. [4][Adorno], der während der Nazizeit im | |
| Exil und darüber hinaus in den USA lebte, hat sich diesem Phänomen 1958 in | |
| seinem Essay „Kultur und Culture“ gewidmet und herausgestellt, wie Deutsche | |
| in der amerikanischen Freundlichkeit zuerst Oberflächlichkeit sehen. | |
| Sie würden sofort eins und eins zusammenzählen und daran denken, wie die | |
| amerikanischen Kellner:innen mit ihrer herzlichen Art das Trinkgeld, mit | |
| dem sie bezahlt werden, einheimsen müssen oder Kassierer:innen nur deswegen | |
| so viel lächeln, weil sie vom kapitalistischen Boss des Ladens dazu | |
| gezwungen werden. | |
| Adorno fragt in seinem Vortrag dann irgendwann sinngemäß, was die Deutschen | |
| eigentlich wollen – Anschnauzer und ungefilterte Unfreundlichkeit zum | |
| Frühstück, nur damit sich das alles im Nachhinein viel echter und tiefer | |
| anfühlt? | |
| Und auch heute frage ich mich, was seltsamer ist: ein wenig | |
| geschauspielerte Feel-Good-Vibe-Atmosphäre? Oder Leute, die nach einem | |
| super Essen von der Freundlichkeit der Bedienung, die nur leicht vom | |
| Ost-Berliner lowest standard – „Ick werd dir wat husten Hafamilch, | |
| Hafamilch, ham wa nich!“ – abweicht, so sehr irritiert sind, dass sie dafür | |
| Adorno heranziehen müssen? | |
| ## Jeder Tag ein Kulturschock | |
| Eigentlich ist hier jeder Tag ein Kulturschock, denke ich. | |
| Gestern haben wir bei Freunden gefeiert und aus irgendeinem Grund hat sich | |
| niemand zum Essen hingesetzt (!). Zudem gab es in der top designten Küche | |
| ausschließlich Plastikgeschirr - und Besteck. Diese Unsitte haben Mathilda | |
| und ich aber erst intern im Auto vermerkt, weil wir vom Haus der | |
| Gastgeber:innen so fasziniert waren. | |
| Eine entweihte Kirche, in der die beiden erst geheiratet haben, dann vor | |
| lauter Euphorie eingezogen sind und in der sich jetzt das wohl größte James | |
| Brown-Porträt der Welt befindet. Einer der Gastgeber aus der Kirche hat | |
| seit Trumps Wahl aufgehört, jegliche Form von Nachrichten zu konsumieren | |
| und sagt, dass er noch nie so glücklich war. Aber es ist im Alltag fast | |
| unmöglich, nicht an [5][Trump] und seine Politik zu denken. | |
| An den Häusern, in denen wir sonst zu Gast waren, sind Pride und | |
| Transflaggen befestigt, während in den Nachbarstraßen „Trump/Vance“- Bann… | |
| wie Gardinen aushängen. „Trump macht hier alles kaputt, sogar Familien! | |
| Manche reden nicht mal mehr miteinander!“, sagt Clinton, während sein Blick | |
| starr auf die Straße gerichtet ist. „Ich habe nicht für diesen Mann | |
| gestimmt und vermeide es möglichst, über ihn zu reden.“ | |
| ## Lebensunterhalt als Identität | |
| Clinton ist Demokrat, Afroamerikaner, Schlagzeuger in einer Band und | |
| zweimal pensioniert. Seine erste [6][Rente] bekommt er von seinem Job als | |
| Gefängniswärter. Arbeit ist für Clinton wichtig, aber im Gegensatz zu | |
| vielen Deutschen ist nicht die Arbeitsstelle als Ort das | |
| identitätsstiftende – viel mehr die Tatsache, dass man Arbeit hat und seine | |
| Rechnungen bezahlen kann. | |
| Er ist der Typ US-Bürger, der in der Kirche für dich betet, seine | |
| Nachbar:innen respektvoll in Ruhe lässt und sein Leben vor allem nach Moral | |
| ausrichtet. Gerade die ist aber von einem so klassisch amerikanischem | |
| Wertesystem geprägt, dass er im Gespräch für Europäer:innen immer etwas | |
| edgy klingt. Besonders, wenn er es so selbstbewusst vorträgt: | |
| „Na klar besitze ich noch immer meine Dienstwaffe, habe sie zwar noch nie | |
| benutzt und lobe jeden Tag, an dem das nicht passiert. Aber wenn mich | |
| jemand umnieten will, dann bin ich froh, dass ich sie habe.“ | |
| Es ist das Thema, das die meisten linken Europäer:innen am liebsten in | |
| Stellung bringen, wenn in Gesprächen ausnahmsweise mal positiv über die USA | |
| gesprochen wird. Allerdings scheint sich das Waffenthema jetzt in seiner | |
| Absurdität einfach nur noch in eine immer größer werdende Liste | |
| einzureihen, die die USA unliebenswert machen, während Trump und sein | |
| Gefolge gerade versuchen, das Land in eine Autokratie zu verwandeln. | |
| ## Hass auf die USA | |
| „Wir waren vorher schon ein sehr gehasstes Land“, sagt Clinton betreten. | |
| „Jetzt hasst uns wirklich jeder!“ | |
| Es wirkt nicht so, als würde Clinton aus linken oder identitätspolitischen | |
| Gründen gegen Trump sein. Ich weiß nicht einmal, ob Clinton vor Trumps | |
| Amtsantritt sonst im Alltag viel über Politik geredet hat. Trotzdem hält er | |
| jetzt auf der weiteren Fahrt eine Wutrede, die ihn wirken lässt wie einen | |
| Kampagnenhelfer von Bernie Sanders. | |
| Clinton bezieht zwei Renten und muss [7][Uber] fahren, um zu überleben. | |
| Freund:innen von ihm verkaufen ihre Immobilien aus Angst, bankrott zu | |
| gehen. | |
| Viele könnten aufgrund der neuen, miesen Wirtschaftslage mit ihren | |
| Paychecks nicht mehr von Monat zu Monat, sondern nur noch Woche zu Woche | |
| planen. Und dann gäbe es noch die Leute in seinem Bekanntenkreis, die | |
| trotzdem glauben, durch ihren Präsidenten reicher, schöner und | |
| erfolgreicher zu werden. „Sie vergessen, dass Trump sich einen Dreck um sie | |
| kümmert“, ruft er in Richtung Straße, klopft mit der flachen Hand auf das | |
| Lenkrad und regt sich so leidenschaftlich auf, wie man sich in einem | |
| sicheren Raum voller Gleichgesinnter über die dummen MAGA-Leute und | |
| [8][AfD]-Wähler aufregen kann. | |
| „Aber ich weiß echt nicht, wie ich mit Leuten umgehen soll, die mir | |
| erklären, dass sie Trump gewählt haben“. Also versucht er das Thema | |
| irgendwie auszublenden, um nicht verrückt zu werden. Mit Bekannten würde | |
| das ganz gut gehen, aber wie das mit seiner republikanischen Schwester | |
| funktionieren soll, weiß er noch nicht. Seit der Wahl haben sie noch kein | |
| Wort miteinander gesprochen. | |
| ## Reisewarnungen für die „älteste Demokratie der Welt“ | |
| Mir fällt ein, wie Mathildas und meine Eltern, meine Oma und Freund:innen | |
| uns gefragt haben, ob sie uns in den USA besuchen dürfen. Dann zählten sie | |
| immer auf, welche amerikanische Großstadt sie sehen, was sie dort essen und | |
| welche Süßigkeit sie probieren wollen, um dann aber immer wieder | |
| klarzustellen: „Aber wenn ihr nicht da wärt, würden wir jetzt auf keinen | |
| Fall in die USA reisen!“ | |
| Laut einer Umfrage des Stern von Ende April würden derzeit 54 Prozent der | |
| Deutschen aufgrund der politischen Lage von Reisen in die USA absehen. Von | |
| den Leuten, die die [9][Linkspartei] wählen, sind es sogar über 76 Prozent. | |
| Nur die Mehrheit der AfD-Wähler hält USA-Reisen gerade für vollkommen | |
| unbedenklich. Deutsche Reiseanbieter berichten von spürbaren Einbrüchen in | |
| ihren USA-Angeboten. | |
| Clinton kann durch seine Rente bei American Airlines, seinem zweiten | |
| ehemaligen Arbeitgeber, kostenlos mit Firmenflugzeugen durch die Welt | |
| fliegen. Aber am liebsten bleibt er in den USA, erklärt er. Nur einmal war | |
| er in [10][Europa]. Das war 1998, um mit seiner Familie ein Mädchen in | |
| Frankreich zu besuchen, das bei ihnen als Austauschschülerin gewohnt hatte. | |
| Clinton erzählt davon, wie herzlich seine europäischen Gastgeber:innen | |
| waren. „Aber die Kinder dort, ja? Die haben getrunken!“, sagt er | |
| aufgebracht. „Bier und Wein, als wäre es nichts! Mit 16!“ | |
| Im französischen Haus hat er dann in einem Fotoalbum Urlaubsbilder der | |
| Familie angeschaut und das Buch schnell weggelegt, als darin auf einmal | |
| lauter Nacktfotos der Gastgeberin am FKK-Strand aufgetaucht sind. Für die | |
| französische Familie war es offenbar ok, und der Gastgeber habe ihn sogar | |
| ermuntert, doch weiter durch das Album zu blättern. | |
| ## Bill Clinton in Frankreich | |
| „Und da habe ich mir gedacht: Was ist los mit dem Mann?“, fragt Clinton so | |
| aufgeregt, als hätte er die Bilder gerade zum ersten Mal gesehen. „Wenn ich | |
| solche Bilder hätte, würde ich die irgendwo verstecken, aber ich würde es | |
| doch nicht Gästen zeigen!“, fährt er fort. „Ich meine, ich habe selten das | |
| Verlangen, Gästen Nacktbilder meiner Frau zu zeigen!“ | |
| Damals, 1998, wurde im Fernsehen gerade von Clintons | |
| Präsidentennamensvetter Bill Clinton und dessen Affäre mit einer | |
| Praktikantin berichtet. | |
| „Und weißt du, was die Franzosen zu mir gesagt haben?“, fragt Clinton | |
| unverändert entsetzt. „Die sagten: ‚Oh ihr Amerikaner, ihr seid so spießi… | |
| Unser Präsident fährt mit seiner Geliebten und seiner Frau in den Urlaub, | |
| jeder weiß das und niemand stört sich dran’.“ Er schüttelt stakkatohaft … | |
| Kopf. „Man, Man, Man“, sagt er. „Die Franzosen sind schon ein eigenartiges | |
| Volk.“ | |
| Damals war alles anders, als das, was er kannte. Und irgendwie war es eine | |
| der schönsten Reisen seines Lebens. | |
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| 26 Jun 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Aron Boks | |
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