# taz.de -- Unterwegs in Südamerika ohne Smartphone: Mein Handy ist weg | |
> Auf ihrer Reise durch Südamerika wird unserer Kolumnistin das Handy | |
> gestohlen. Zum Glück ist sie von diesem blöden Gerät nicht abhängig, | |
> oder?! | |
Bild: Leider nur eine Fake-Telefonzelle... | |
Mein Handy ist weg. Ein Typ hat es mir einfach aus der vorderen Hosentasche | |
rausgezogen. In der einen Millisekunde, in der ich meinen Rucksack zurecht | |
gerückt hatte. Während ich versuchte, durch ein Gewühl von Menschen und | |
Marktständen voller Plastik-Schrott durch zu kommen. | |
„Fuck, fuck, fuck!“ schreie ich und schlage mit der Faust gegen die | |
erstbeste Hauswand. Vollbepackt mit unserem ganzen Hab und Gut – zwei große | |
Rucksäcke und ein kleiner, in letzterem haben wir, total schlecht | |
durchdacht, alle lebensnotwendige Medikamente und Wertsachen verstaut – | |
stehen wir, Arsen und ich, nun auf halbem Weg zum Hauptbahnhof von Santiago | |
de Chile. [1][Seit fast drei Monaten reisen wir mehr oder weniger auf den | |
Spuren von Che Guevara durch Lateinamerika.] Die Episode heute hat wohl | |
eher weniger mit Che zu tun. | |
„Mein Handy ist weg“, schreie ich eine Frau auf Spanisch an, die neben mir | |
an einem Marktstand steht. Sie schaut mich verstört an, zuckt mit den | |
Schultern. | |
Ich weiß schon, sie kann ja nichts dafür, aber hat sie es nicht gesehen? | |
Wie ich dem Typen mit meinem Handy hinterhergerannt bin – was man übrigens | |
nie machen sollte, weil die Gefahr extrem hoch ist, abgestochen zu werden, | |
wie uns später erklärt wird. Hat sie nicht gesehen, wie ich gefühlt | |
hunderte Menschen angeschrien habe, dass der Typ da mein Handy geklaut hat. | |
Als ginge es um mein Leben. | |
## Fotos, Kontakte, Erinnerungen - alles weg! | |
Ich meine, es geht ja um mein Leben! Fotos, Kontakte, Termine, Notizen, | |
Bankkonten, alles was mich ausmacht, gesammelt in einem kleinen | |
elektronischen Gerät. Alles würde verblassen, die Erinnerungen, die die | |
Fotos abrufen, meine ganzen Gedanken, die ich beim Warten auf die Bahn in | |
die Notizenapp geschrieben hatte. Diese vielen Nummern, die ich nie anrufe, | |
aber gesammelt hatte, falls es sich mal ergeben sollte, dass – ach, ich | |
weiß auch nicht so genau. | |
Ich lasse mich auf den Bordstein fallen. Ich bin am Boden. Wir sind am | |
Boden. Nicht nur mein Leben ist jetzt weg, sondern unser beider Leben. | |
Arsens Handy war ja auch gestohlen worden, wenige Tage zuvor, in | |
Argentinien. | |
Wir brauchen einen Plan. | |
Ich fasse an meine Hosentasche, um auf google maps zu checken, wo wir | |
eigentlich genau sind. | |
Fuck. Google maps ist natürlich auch weg, die Wegbeschreibungen sind weg! | |
„Wie sollen wir hier nur je wieder wegkommen?“, rufe ich verzweifelt. „Wie | |
sollen wir was kaufen? Wie bezahlen? Wissen, wann die Busse fahren? Einen | |
Platz zum Schlafen finden?!“ | |
Arsen hält mir eine Wasserflasche hin und sagt mir, dass ich ganz ruhig | |
atmen soll. „Wir gehen erstmal zur Polizei und schauen, dass deine Karte | |
gesperrt wird“, sagt er. | |
## Erstmal zu den Carabineros | |
Die Polizei nennt sich hier „Carabineros de Chile“, sitzt wenige Meter vom | |
„Tatort“ entfernt in ihren gepanzerten Wagen und hat nichts gesehen. „Das | |
passiert hier öfter. Da müsst ihr halt aufpassen“, sagt der eine Beamte. | |
Die Frage, ob wir Anzeige erstatten können, ignoriert er. | |
Stattdessen erzählt er von den vielen kriminellen Venezolanern hierzulande | |
und sagt dann noch:„Zum Glück haben wir die Andenkette, das macht es denen | |
schwerer, einfach hier reinzuspazieren.“ Am Ende begleiten uns zwei | |
Carabineros zur nächsten Metrostation und erklären uns noch den Weg zur | |
deutschen Botschaft. Die sollen uns helfen. | |
In der völlig überfüllten U-Bahn überlege ich, was der Typ mir lieber hätte | |
stehlen sollen. Ehrlich gesagt: Alles wäre mir lieber gewesen. Nur nicht | |
das Smartphone. „Vielleicht können wir meine Nummer anrufen und ihm Geld | |
fürs Handy anbieten“, sage ich zu Arsen. Und weiß, das ist genauso | |
unrealistisch, wie mein Smartphone irgendwo auf dem Markt zufällig wieder | |
zu sehen. | |
Verzweiflung steigt in mir hoch. | |
## Ich bekomme Entzugserscheinungen | |
Plötzlich ist da ein Vibrieren an meinem Körper. Eine Nachricht! Ich fasse | |
an meine Hosentasche und spüre die Leere, wo bislang immer mein | |
Mobiltelefon war. Eine Phantomvibration! Drehe ich jetzt völlig durch? Ich, | |
die doch ihre Bildschirmzeit (fast) immer unter Kontrolle hat, die nur | |
bewusst soziale Netzwerke konsumiert und sich doch aus Prinzip nicht von so | |
einem doofen Gerät abhängig macht. | |
Ich starre in die Gegend – hab’ ja keinen Bildschirm mehr, in den ich mich | |
verkriechen kann. Niemand schaut mich an, alle blicken in ihre Bildschirme. | |
Letztens hatte ich mit einem Freund telefoniert, der als Lehrer arbeitet. | |
„Also bei uns ist es so: die eine Hälfte der Schüler steht in der Pause in | |
der Raucherecke. Die andere ist am Handy“, hatte er gesagt. Krass, hatte | |
ich gedacht. Zum Glück hat meine Generation noch eine handyfreie Kindheit | |
erlebt und kann deswegen viel besser damit umgehen. Als wir aus der U-Bahn | |
raus sind, zünde ich mir erstmal eine Kippe an. | |
Dann hatte mir mein Lehrer-Freund noch von einer Studie erzählt, die | |
gezeigt habe, dass allein die Anwesenheit eines ausgeschalteten Handys zu | |
Konzentrationsschwierigkeiten und Ablenkung führt. Na, das Problem habe ich | |
jetzt nicht mehr, denke ich. Ich habe auch keine Fomo mehr, keine Angst | |
irgendwas zu verpassen. Keinen Stress mehr, dass irgendwelche Nachrichten | |
seit Tagen unbeantwortet immer wieder aufploppen. Dafür innere Leere, | |
Isolation, das Gefühl, als hätte man ein Teil meines Lebens gelöscht. | |
„Jetzt übertreib mal nicht“, sagt Arsen. Aber der hat gut reden, er hat | |
seine Daten in der Cloud gespeichert. | |
## Schlafen und vergessen... | |
Nach einer langen Odyssee zur deutschen Botschaft, wo wir sehr gut betreut | |
werden und man uns mit Haribo und Laugengebäck etwas tröstet, lassen wir | |
uns – da wir ja keine Handys haben und sonst nicht wissen wohin – für viel | |
zu viel Geld, aber in einem sicheren Taxi, zurück zum Hostel fahren, aus | |
dem wir vor einigen Stunden ausgecheckt hatten. | |
„Habt ihr noch ein Zimmer für zwei?“, frage ich völlig fertig den | |
Rezeptionisten. Ich will mich nur noch hinlegen, schlafen und vergessen. | |
Heute Abend wird es kein entspanntes Scrollen auf Instagram geben, keine | |
lustigen Reels, keine Schachpartie auf der Schach-App, kein voyeuristisches | |
Mal-schauen-was-die-anderen-grad-erleben. | |
Kein kurzes Update auf tagesschau.de, was sonst so auf der Welt passiert | |
ist. Wie sind die Menschen eigentlich schlafen gegangen, als es noch keine | |
Smartphones gab? | |
Der Rezeptionist reißt mich aus den Gedanken: „Zimmer müsst ihr online | |
buchen“, sagt er. Bevor ich ihn anschreie, was denn dann sein Scheißjob | |
hier sei, halte ich nochmal inne und fasse einen Beschluss: Morgen kaufe | |
ich mir eine Analogkamera, und dann werde ich erst Postkarten schreiben, | |
und dann auch den ein oder anderen Brief. Ich denke sogar drüber nach, mir | |
ein Festnetztelefon zuzulegen, wenn ich wieder in Deutschland bin. | |
Aber jetzt brauch ich erstmal ein Handy. | |
19 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Ruth Lang Fuentes | |
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