| # taz.de -- Das Tanzen zu den Verhältnissen bringen | |
| > Eine Stadtführung der Tanz-Kompanie „Of Curious Nature“ will in Bremens | |
| > City gedankliche Bewegungsspielräume schaffen. Mit Mut zu mehr Wissen | |
| > könnte das richtig gut werden | |
| Bild: Durch Bremen fliegen, nur schöner: die getanzte Stadtführung von Stepte… | |
| Von Jens Fischer | |
| Weltkulturerbe nebst weiteren Top-5-Sehenswürdigkeiten abklappern und sich | |
| dabei zutexten lassen mit historischen Daten, das reicht vielen | |
| Stadtreisenden auch in Bremen nicht mehr. Sie lassen sich lieber auf Spuren | |
| des Judentums, Nationalsozialismus, der Migration und der grün-weißen | |
| Fußballbegeisterung führen. Oder sie buchen inszenierte Rundgänge mit | |
| Nachtwächtern oder Darsteller:innen Bremer Originale. Neu im Angebot | |
| des Vereins Stattreisen ist die von Mariko Koh angeleitete tänzerische | |
| Erkundung von bebauten Grundstücken, die längst nicht mehr das sind, was | |
| sie mal waren. | |
| Weil sie nicht mehr Dreh- und Angelpunkt des privaten Konsums und des | |
| Malochens für die Kaufmannsgilde, sondern in Bewegung sei, habe Stattreisen | |
| die Bewegungskünstler von „Of Curious Nature“ (OCN) engagiert, erklärt | |
| Peter Miklis, der im Duz-Modus die Tour moderiert. Die Company kann solche | |
| Kooperation gut gebrauchen: 2019 mit Tanzpakt-Bundesmitteln und regionaler | |
| Unterstützung von Helge Letonja (Bremen) und Felix Landerer (Hannover) | |
| gegründet, musste sie schon bald mit Corona kämpfen. Dann verlor sie | |
| Landerer ans Theater Bielefeld und schließlich liefen die Förderungen aus. | |
| Die Auflösung drohte. | |
| Nur dank Stiftungsgeldern, 50.000 Euro an Fraktionsmitteln des Bremer | |
| Kultursenators, mehreren Projektförderungen sowie Eigeneinnahmen sei die | |
| Existenz bis Ende 2025 gesichert, so Letonja. Er erwartet Verhandlungen, | |
| nach denen OCN ab 2026 eine institutionelle Förderung aus dem Kulturetat | |
| bekommen soll. | |
| Los geht die „Bremen tanzt“-Tour auf der Weserinsel Teerhof im ehemaligen | |
| Palast des großmannssüchtigen „Beluga“-Chefs Niels Stolberg. Nach der | |
| Insolvenz in 2011 gilt das Gebäude als ein Symbol für Bremens Niedergang | |
| als Standort von Großreedereien. Der opulent geplante Unternehmenssitz ist | |
| heute ein kleinteilig vermietetes Bürohaus, gerade auch für Start-ups. | |
| Auf der Dachterrasse eröffnet sich eine herrliche Aussicht über die Dächer | |
| der Hansestadt bis weit ins niedersächsische Windräderland. Das bis auf | |
| eine Position völlig neu besetzte, von zwischenzeitlich zwölf auf sieben | |
| Tänzer:innen geschrumpfte OCN-Ensemble stretcht und begegnet sich in der | |
| Sitz- und Liegebänke-Installation auf dem „Beluga“-Dach, kreiselt und hüp… | |
| umeinander, wiegt windumtost hin und her, berührt einander, kommt zusammen. | |
| Am Ende umarmen sich alle. Was Miklis als Hinweis gedeutet wissen will, | |
| dass jeder Mensch täglich fünf Umarmungen brauche. | |
| Zweite Station ist die Baumwollbörse, die genauso wenig noch eine Börse von | |
| Weltrang ist wie Bremen ein globales Handelszentrum für die Naturfäden. | |
| Baumwollqualitätsprüfungen finden in dem historischen Gebäude noch statt. | |
| Die meisten Räume aber sind belegt von Rechtsanwält:innen, Ärzt:innen, | |
| einer IT-Firma, dem Wirtschaftsrat der CDU usw. Im Foyer rollt eine | |
| Tänzerin einen Faden vom Knäuel, befestigt ihn auf einer großen Weltkarte | |
| nahe Hamburg, verbindet ihn mit dem Publikum, dann weiter mit Japan, der | |
| Karibik und, und, und … Deutet so wohl Netzwerke der Baumwollwirtschaft an: | |
| ernten, spinnen, bleichen, färben, nähen, tragen. | |
| Im Treppenhaus werfen und tollen Tänzer:innen mit Baumwolle herum. | |
| Leider bleibt das weit davon entfernt, eine künstlerisch überzeugende | |
| Auseinandersetzung mit der kolonialen Geschichte der Baumwolle und dem | |
| neokolonialen Zusammenspiel von Industrie und Handel zu sein. Reizvoll ist | |
| hingegen der Besuch des Skulpturengartens neben der Bürgerschaft. Die | |
| Tanzenden nehmen die Haltungen der von Gerhard Marcks aus Bewegungsstudien | |
| entwickelten Figuren auf und verwandeln so die Statuen wieder in | |
| Bewegungen. Was wohl als Hinweis zu lesen ist auf den gewünschten | |
| Funktionswandel der City vom kommerziellen zum kulturellen Zentrum. | |
| Zum Finale geht’s in den Hof der ehemaligen Landesbank, die durch | |
| Schiffskreditgeschäfte in die Pleite gerissenen wurde. Zum Wintersemester | |
| 2024/25 ist der Uni-Fachbereich Rechtswissenschaften mitsamt Bibliothek, | |
| Mensa und Lehrangeboten für rund 1.500 Studierende hier eingezogen. Diesen | |
| belebenden Wandel von der Finanzwirtschaft zur akademischen Bildung feiert | |
| OCN mit einer Gruppenchoreografie, die mit weichen, fließenden Formationen | |
| den steinharten statischen Setzungen der Architektur widerspricht. | |
| Mit solchen Tanz-Interventionen den öffentlichen Raum sinnlich aufzuladen, | |
| ihn als Freiraum der Kunst wahrnehmbar zu machen, das weckt Wünsche nach | |
| einer diverser genutzten Innenstadt. Wenn dazu noch hintergründige Infos | |
| statt nur lässige Andeutungen serviert würden, könnte es eine Stadtreise | |
| mit Nachhall werden. | |
| 7 Aug 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Fischer | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |