| # taz.de -- tazđŸthema: BlĂŒte praktischer SolidaritĂ€t | |
| > Seit zehn Jahren gibt er die private Seenotrettung GeflĂŒchteter. Es ist | |
| > ein politischer Kampf, der objektiv betrachtet nicht zu gewinnen ist. | |
| > Trotzdem engagieren sich dort bis heute Menschen, um Hilfe zu leisten | |
| Bild: Harte Strafen fĂŒr die Seenotrettung erhielten bisher vor allem GeflĂŒcht… | |
| Von Christian Jakob | |
| âWenn wir nur einen Menschen retten, dann hat sich unsere Initiative schon | |
| gelohntâ, sagte Harald Höppner im FrĂŒhjahr 2015. Der Kleinunternehmer hatte | |
| da gerade fĂŒr 60.000 Euro in Amsterdam einen 1917 gebauten Fischkutter | |
| gekauft. Ende MÀrz des Jahres taufte die Gruppe um Höppner das Schiff in | |
| Hamburg auf den Namen âSea Watch 1â â und schickte es ins Mittelmeer. | |
| Wenige Monate zuvor hatte Italien dort die Seenotrettungsmission âMare | |
| Nostrumâ eingestellt. Nach einer Serie schwerer UnglĂŒcke mit Tausenden | |
| Toten hatte das italienische MilitÀr zwischen Oktober 2013 bis Oktober 2014 | |
| vor der libyschen KĂŒste patrouilliert. âMare Nostrumâ rettete in diesem | |
| Zeitraum ĂŒber 100.000 Menschen, die nach Italien gebracht wurden. Die | |
| Regierung in Rom kostet das insgesamt rund 117 Millionen Euro. | |
| UnterstĂŒtzung von anderen EU-Mitgliedstaaten bekam das Land derweil keine. | |
| Diese Ă€uĂerten vielmehr Bedenken, dass die Rettung selbst als Anreiz fĂŒr | |
| weitere Migration dienen könnte. Italien stellte die Operation daraufhin | |
| ein. | |
| Diese LĂŒcke wollte Höppner schlieĂen. Als sich seine Initiative | |
| herumsprach, meldeten sich Ărzt:innen, SanitĂ€ter:innen, AnwĂ€lt:innen und | |
| KapitĂ€n:innen als Freiwillige. âUnd es werden tĂ€glich mehrâ, sagte | |
| Höppner damals. | |
| Zwischen dem 21. Oktober 2014 und dem 21. Juni 2015, dem Beginn der ersten | |
| Rettungsfahrt, ertranken im zentralen Mittelmeer nach einer UN-ZĂ€hlung | |
| 2.110 Menschen auf dem Weg nach Europa. Das Sterben ging seither weiter, | |
| bis heute, aber es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Höppner sein Ziel | |
| erreicht hat. Denn viele Menschen nahmen sich an Höppner ein Beispiel. Als | |
| sei ein unsichtbarer Knoten geplatzt, bildeten sich seither immer neue | |
| Initiativen, die dem planvollen Sterbenlassen von GeflĂŒchteten und | |
| Migrant:innen an den EU-AuĂengrenzen praktische, konkrete SolidaritĂ€t | |
| entgegensetzen. | |
| SOS MĂ©diterranĂ©e, SOS Humanity, Ărzte ohne Grenzen â seit 2014 haben rund | |
| 15 private NGOs ĂŒber 40 Schiffe â darunter die âMare Liberumâ, die | |
| âLifelineâ, die âIuventaâ â zur Seenotrettung ins Mittelmeer entsandt… | |
| ist eine einzigartige logistische Mobilisierungsleistung der | |
| Zivilgesellschaft. Hinzu kommen die Luftobservationen der Humanitarian | |
| Pilots Initiative sowie das bereits 2014 gestartete Projekt Alarm Phone, | |
| das Notrufe von SchiffbrĂŒchigen annimmt. An wie vielen Rettungen diese | |
| Initiativen beteiligt waren ist nicht erfasst, die Zahl liegt aber im | |
| sechsstelligen Bereich. Ohne diese Interventionen wÀren wohl weit mehr als | |
| die seither rund 30.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken. | |
| Die Versuche der Behörden, die âzivile Flotteâ zu blockieren, sind dabei so | |
| alt wie sie selbst: Nach RettungseinsÀtzen wurde ihnen oft wochenlang die | |
| Einfahrt in einen Hafen verweigert. Sie wurden unter fadenscheinigen | |
| BegrĂŒndungen â meist wegen angeblicher technischer MĂ€ngel â festgesetzt, … | |
| wie die âSea Watch 3â. Schiffe werden beschlagnahmt, Crews in Gewahrsam | |
| genommen oder vor Gericht gebracht. Einer Recherche von Brot fĂŒr die Welt | |
| zufolge waren allein die zwischen 2016 und 2023 von NGOs ins Mittelmeer | |
| geschickten Rettungsschiffe 1.116 Wochen blockiert â 32 Prozent der | |
| möglichen Einsatzwochen auf See. Zu den vielen Erstaunlichkeiten hierbei | |
| gehört, dass die zunehmende Repression immer wieder eine Zunahmen an | |
| Spenden nach sich zog, sodass lange Zeit nicht weniger, sondern mehr | |
| Schiffe in See stachen. | |
| Besondere Bekanntheit erlangte die deutsche KapitÀnin Carola Rackete, die | |
| 2019 festgenommen wurde. Ihr Schiff âIuventaâ wurde im August 2017 | |
| beschlagnahmt, der Crew drohten Jahrzehnte in Haft. Erst im April 2024 | |
| wurden die Mitglieder der Crew freigesprochen. Doch wÀhrend europÀischen | |
| Aktivist:innen mit teils monströsen Strafen gedroht wird, um sie | |
| einzuschĂŒchtern, gingen die Verfahren fĂŒr sie in der Regel am Ende eher | |
| glimpflich aus. TatsĂ€chlich lange in den Knast mĂŒssen indes meist | |
| GeflĂŒchtete, wenn ihnen vorgeworfen wird, ein Schiff gesteuert zu haben. | |
| Die nicht nur darin aufscheinende Privilegiertheit der weiĂen | |
| Aktivist:innen haben diese durchgÀngig selbst reflektiert. Wohl kaum | |
| irgendwo wurde die Dimension des âWhite Saviourismâ, des weiĂen Rettertums | |
| also, dass passive, nicht-weiĂe Opfer rettet, so umfassend diskutiert wie | |
| in dieser Bewegung â ohne dass dies in LĂ€hmung oder SelbstbeschrĂ€nkung | |
| geendet hÀtte. | |
| Zum 10. Jahrestag der Sea-Watch-GrĂŒndung hat der Aktivist und Autor Chris | |
| Grodotzki jĂŒngst den Band âKein Land in Sichtâ veröffentlicht. Ăber seine | |
| Zeit als Seenotretter auf Lampedusa schreibt er darin, er habe âselten | |
| erlebt, dass so viele Menschen an einem Ort in unbestechlicher Disziplin, | |
| ohne ideologischen Aktionismus und selbstreferenziellen Theoretisierungen, | |
| gewissenhaft und nĂŒchtern einen politischen Kampf fĂŒhren, der objektiv | |
| betrachtet kaum zu gewinnen ist.â | |
| Und so wurden die Jahre ab 2015 zu einer Phase ungekannter BlĂŒte | |
| praktischer SolidaritÀt. Die Seenotrettung ist davon nur eine Facette. Die | |
| Aktivist:innen betonen stets, dass ihre Erfolge kein Grund zum Feiern, | |
| sondern nur Folge skandalöser VerhÀltnisse seien. Doch wo die einen die | |
| âFestung Europaâ nur beklagten, setzen ihr andere gegen alle WiderstĂ€nde | |
| praktische SolidaritĂ€t entgegen, die einer âtatsĂ€chlich realisierten | |
| Utopieâ, wie der französische Philosoph Michel Foucault sie beschrieb, | |
| nahekommt. | |
| 14 Jun 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Jakob | |
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