# taz.de -- dvdesk: Die Gedichte von Abu Nuwas | |
Bild: „Amal“ (Belgien 2023, Regie: Jawad Rhalib). Die DVD ist ab rund 16 Eu… | |
Amal (Lubna Azabal) ist Lehrerin an einer Schule in Brüssel, in einer | |
Gegend, in der vorwiegend Muslim*innen leben. Sie selbst ist Muslimin, | |
die Schülerinnen und Schüler sind es zum größten Teil auch. In ihrer Klasse | |
macht ein Gerücht die Runde, eine der Schülerinnen, Mounia (Kenza | |
Benbouchta), sei eine Lesbe. Sie wird von einer Gruppe fundamentalistischer | |
Mitschülerinnen und Mitschüler gemobbt und körperlich angegangen. | |
Als Amal das mitbekommt, greift sie zu einer ganz besonderen Waffe: Abu | |
Nuwas. Ein arabischer und also muslimischer Dichter, ein zu Spott neigender | |
Freigeist aus dem achten Jahrhundert, am berühmtesten für seine | |
„Weingedichte“, in denen er die Trunkenheit feiert. Nicht ganz so berühmt, | |
aber viel berüchtigter: die Poesie, in der er erotischen und insbesondere | |
homoerotischen Neigungen offen Ausdruck verleiht. Sein Gedicht über das | |
Badehaus beginnt etwa so: „Im Badehaus werden die Geheimnisse, die sich in | |
Hosen verstecken / dir offenbart. / Alles wird strahlend sichtbar. / Weide | |
deine Augen, halte dich nur nicht zurück.“ | |
Abu Nuwas war zu Lebzeiten gefeiert und, wie könnte es anders sein, | |
angefeindet zugleich. In konservativen Kreisen im muslimischen Raum wird | |
vor allem der homoerotische Aspekt heute gerne zensiert. In Ägypten wurden | |
2001 seine Bücher verbrannt. Die Gedichte, die Amal ihrer Klasse | |
präsentiert, die sie laut vorlesen lässt, sorgen bei einigen der | |
Schüler*innen für große Empörung: Sie verlassen den Raum. Andere lassen | |
sich den ganzen Band gerne kopieren. | |
Die frömmsten der Eltern rücken an und stellen Amal zur Rede. Die | |
Schulleiterin, keine Muslimin, ist über die „Provokation“ Amals nicht | |
glücklich, den Kolleg*innen geht es zum großen Teil ähnlich. Die | |
Rektorin macht den Eltern aber auch klar, dass die Schule nach belgischem | |
Gesetz ein weltanschaulich neutraler Raum bleiben muss. | |
Die ganze Wahrheit ist das andererseits nicht. Es gibt, in den Räumen der | |
Schule, aber juristisch extraterritorial, auch den Religionsunterricht. | |
Hier sitzen die Schülerinnen, die im normalen Unterricht unverschleiert | |
sitzen, als verstünde es sich von selbst, im Hijab. Der Lehrer, Nabil | |
(Fabrizio Rongione), ist nicht beim Staat angestellt, sondern von der | |
Moschee delegiert. Er betreibt ein Internetcafé, ist aber auch im | |
Lehrerzimmer präsent. | |
Ein Mann zwischen zwei Welten. Und ein Mann mit zwei Gesichtern. Er gibt | |
sich im Streit um die Schülerin Mounia und um die Provokation mit den | |
Gedichten recht moderat. Die Wahrheit sieht anders aus, das wird spätestens | |
klar, als der Film gegen Ende Einblicke in seinen Religionsunterricht gibt. | |
Hier wird nicht das säkulare belgische Recht, sondern die Scharia gelehrt. | |
Man kann nicht sagen, dass der belgisch-marokkanische Regisseur und | |
Drehbuchkoautor Jawad Rhalib seine Botschaft versteckt. Sie wird wenn nicht | |
strahlend, so doch mit großer Deutlichkeit sichtbar, Subtilität und | |
Zurückhaltung kennt er nicht. Diese Botschaft lautet: Die muslimischen | |
Fundamentalisten sind dabei, den säkularen Staat an seinem Fundament, schon | |
in der Schule, zu untergraben. „Amal“ ist ganz klar Film als Traktat, auch | |
wenn sich, manchmal beeindruckend, manchmal zu sehr, [1][Lubna Azabal] | |
dabei die Seele aus dem Leib spielt. | |
Der Film hält in seiner Schilderung eines innermuslimischen Konflikts die | |
Werte der Aufklärung hoch, auch das buchstäblich didaktisch, in Amals | |
Unterricht. Das Wasser, das er auf die Mühlen der Rechten leitet, gräbt er | |
ihnen halbwegs geschickt aber gleich wieder ab. Denn einer wie Abu Nuwas, | |
frivol, freigeistig, offen schwul, ist dann doch ein rotes Tucht für | |
Fundamentalist*innen jeder Couleur. | |
Ekkehard Knörer | |
5 Jun 2025 | |
## LINKS | |
[1] /!5919001&SuchRahmen=Print | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |