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# taz.de -- Hinweise auf Straftaten landen in totem Postfach
> Über das Bremer Portal „Tatort Hafen“ sollen Hafen-Beschäftigte Hinweise
> auf Straftaten melden. Aber die Meldungen kamen wegen eines Fehlers nie
> an. Erst ein Strafverfahren und eine Nachfrage der CDU-Fraktion brachten
> Licht ins Dunkel
Bild: Wo suchen, wenn es keine Hinweise gibt?`Ein Spürhund des Zolls kontrolli…
Von Lotta Drügemöller
Seit fast drei Jahren können Hafenbeschäftigte in Bremen über ein anonymes
Meldeportal den Behörden Hinweise auf Straftaten im Hafen geben – und
genauso lang liefen die eingehenden Meldungen in ein totes Postfach.
Bekannt geworden ist der Fehler schon vor gut einem Monat, jetzt sind im
Justizausschuss und über eine Senatsantwort Details zum Vorgang bekannt
geworden.
Um der Kriminalität am Hafen Herr zu werden, hatte die „Arbeitsgruppe
Häfen“ ein Jahr lang getagt. Eines der Ergebnisse war die Einsicht, dass
Sonderdezernate bei der Staatsanwaltschaft in Bremerhaven her müssen. Ein
zweites Ergebnis war das Meldeportal „Tatort Hafen“, über das
Hafenmitarbeiter die Möglichkeit bekommen sollten, anonym Meldungen
abzugeben, wenn sie Kenntnis über zwielichtige Deals hatten. Am 24. August
2022 wurde es freigeschaltet.
Doch dann passierte nichts, keine Hinweise gingen ein. Im Dezember
verteilte die Senatorin höchstpersönlich noch einmal Flyer unter den
Hafenmitarbeiter*innen, um auf das Angebot hinzuweisen. Aber auf Fragen von
Medien und Abgeordneten hieß es bis vor Kurzem nur, dass bisher keine
Hinweise eingegangen seien, leider.
Erst ein Gerichtsverfahren Anfang April sollte diese Sichtweise ins Wanken
bringen: Ein Angeklagter in einem großen Prozess rund um den Schmuggel von
500 Kilogramm Kokain hatte Anfang April vor dem Bremer Landgericht
ausgesagt, er habe 2023 mehrere Hinweise zur bevorstehenden Tat an Bremer
Behörden gegeben – auch über das Meldeportal. „Es ist auf der Maersk Acad…
ein Standard Transitcontainer mit 300-500 kg Koks“, hatte er dort am 5.
April 2023 geschrieben. „Es sollen 10-20 Taschen sein. Diese sollen heute
rausgeholt werden!!!“
## Korrekte Funktion nur zum Teil geprüft
Die Staatsanwaltschaft wusste nichts davon, lokale Medien berichteten, die
CDU-Fraktion stellte eine Anfrage in der Bürgerschaft. Ein paar Wochen
später ist klar: Schuld war ein nicht gesetzter Haken bei der Einrichtung
des Portals: Der zuständige IT-Administrator hatte versäumt, der
Staatsanwaltschaft Zugriffsrechte einzuräumen. So wurden eingehende
Meldungen zwar aufgenommen und den Absendern bestätigt. Die
Staatsanwaltschaft konnte ihr (leeres) Eingangspostfach auch sehen – aber
die Nachrichten selbst landeten im digitalen Nirvana. Mit Testmeldungen
wurde nur geprüft, ob es möglich ist, Meldungen zu erstellen; niemand
dachte daran, sich auch den Eingang der Nachrichten bei der
Staatsanwaltschaft rückmelden zu lassen.
Die CDU-Fraktion forderte den Rücktritt der Justizsenatorin Claudia
Schilling (SPD) und zuletzt auch den des Staatsrates Björn Tschöpe. In der
Justizbehörde will man davon nichts wissen: Der Fehler wird als eine
„leicht bis mittelschwer einzuordnende Fahrlässigkeit“ eingeordnet, die dem
verantwortlichen IT-Beschäftigten „ausgesprochen unangenehm“ sei. Die
politische Verantwortung liege in der Rechenschaft gegenüber der
Öffentlichkeit – und tatsächlich habe die Behördenspitze den Fehler ja mit
allen Details transparent gemacht, sobald er intern bekannt war.
Doch warum wurde innerhalb der Behörde niemand misstrauisch, als sich drei
Jahre lang nichts im Portal tat? Das Justizressort verteidigt sich mit den
Erfahrungen aus anderen Bundesländern: Auch die Behörden in Hamburg hätten
auf Nachfrage berichtet, dass es in ihrem ähnlichen Meldeportal nicht viele
Hinweise gebe. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die
Mitarbeiter*innen des Justizressorts seien deshalb davon ausgegangen,
dass wohl „selbst auf längere Sicht mit mutmaßlich nur sehr wenigen
Hinweisen zu rechnen sei“, heißt es in der Antwort des Senats auf eine
Anfrage der CDU, die am Dienstag veröffentlicht wurde.
Die konkreten Folgen des Skandals scheinen für das Land noch einigermaßen
glimpflich: Die Kosten für das Portal waren überschaubar: Etwa 31.500 Euro
sind über die drei Jahre für Betrieb und Werbemaßnahmen angefallen.
Wichtiger: Der Kokainschmuggel, den der Verurteilte im Portal gemeldet
hatte, war den Ermittlungsbehörden rechtzeitig über eigene Ermittlungen
bekannt geworden; noch drei weitere Meldungen im Portal deuten auf
Straftaten hin, mehr oder weniger Hafenbezug – es geht dabei um
Schwarzarbeit, Drogenkonsum und -besitz.
Der Hafenbeschäftigte, der das Portal damals genutzt hatte, ist
mittlerweile verurteilt – zu mehr als fünf Jahren Haft, trotz der
Selbstmeldung vor Vollzug der Tat. Er hadert mit seinem Urteil – gegenüber
dem Weser Kurier zweifelte er an, dass das Urteil genau so hart gewesen
wäre, wenn das Portal ordnungsgemäß funktioniert hätte.
Erhärten lässt sich der Verdacht bisher nicht. Schließlich, so erklärt die
Generalstaatsanwältin Wiebke Reitemeier auf Nachfrage, hatte der Mann auch
auf anderen Wegen versucht, den Kokainschmuggel zu melden, etwa bei der
Zollfahndung – und dieses „Bemühen des Angeklagten um einen persönlichen
Kontakt zu den Ermittlungsbehörden“ wurde nicht nur berücksichtigt, sondern
wiege „schwerer als ein anonymer Hinweis über das Online-Portal“. Sprich:
es hätte wohl nichts geändert. Der Anwalt des Meldungsgebers hat Revision
eingelegt.
11 Jun 2025
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
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