# taz.de -- Nadine Conti Provinzhauptstadt: Bitte nicht umsteigen | |
Neulich stand ich zufällig mal wieder an so einem Umsteigebahnhof herum, | |
den ein völlig überdimensioniertes traumschönes Bahnhofgebäude aus der | |
Kaiserzeit zierte. Eines von diesen architektonischen Kleinoden, die man | |
dahin baute, wo der Kaiser oder der Bismarck oder sonst so jemand | |
vorbeischaute, auf dem Weg nach Berlin oder von dort zu irgendeinem | |
Jagdgrund. Aber das „Fürstenzimmer“ dieses Prunkstücks war natürlich sch… | |
lange nicht mehr zugänglich, alles verkauft, versiegelt und vernagelt. | |
Ich erinnere mich allerdings auch noch an die Zeiten, in denen der | |
Hauptbahnhof in Hannover das absolute Gegenstück bildete. In den | |
Neunzigerjahren erinnerte hier nichts mehr an den Prunk und Stolz und die | |
Begeisterung, die dieses neumodische Eisenbahnreisen einmal ausgelöst | |
hatte. Stattdessen: Pornokino, Elendsfiguren, Neonlicht und grauer | |
Betonboden, Gestank. Weil ich damals eine Fernbeziehung führte, lungerte | |
ich öfter in der tristen Empfangshalle herum, manchmal pirschten sich | |
Freier an und fragten nach Preisen. | |
Als der Hauptbahnhof für die Expo umgebaut wurde, konnte man erst einmal | |
nicht anders, als den schöner zu finden. Hinter der historischen Fassade | |
war er zwar komplett entkernt worden, aber immerhin gab es plötzlich wieder | |
Tageslicht statt Bunkeratmosphäre. Auch wenn das Konzept „Einkaufsbahnhof“ | |
dazu führte, dass man auf dem Weg zu den Gleisen immer im Slalom um | |
schlendernde Menschen mit Plastiktüten laufen musste. | |
Irgendwas daran muss wohl funktionieren, auch wenn es einem nicht | |
einleuchtet, jedenfalls gibt es hier weniger leer stehende Ladenlokale als | |
im Rest der Stadt. Zu Stoßzeiten wird es allerdings langsam wirklich | |
unangenehm, weil der nun nicht mehr neue Einkaufsbahnhof den Menschenmassen | |
erkennbar nicht gewachsen ist. Es gibt ein Geschiebe und Gedränge, das | |
selbst friedfertige Menschen aggressiv macht. Und das wird in den kommenden | |
Jahren noch schlimmer, prognostiziert die Bahn. Deutschlandtakt und so. | |
Deshalb zankt man sich hier nun also wieder um einen Umbau. Jüngster | |
Aufreger: Es soll eine zweite Fußgängerüberquerung her, damit Bahnreisende | |
das Gleis wechseln können. Zwei Varianten sind im Gespräch. Eine – die | |
billigere– sieht eine hässliche Stahlbrücke vor, wie sie sonst | |
Provinzbahnhöfe verunstaltet. Der Aufreger für die Stadtpolitik, aber auch | |
die grüne Bundestagsabgeordnete und Verkehrsexpertin Swantje Michaelsen: | |
Auf dieser Brücke könnte man eben tatsächlich nur das Gleis wechseln. Es | |
führt kein Weg in die Stadt, zum Busbahnhof, zur Straßen- oder zur U-Bahn, | |
auch nicht zum Fahrradständer. Das triggert natürlich ein tiefes | |
Hannover-Trauma: das ewige Geläster darüber, dass diese Stadt ohnehin nur | |
zum Umsteigen gut sei. | |
Im Gespräch ist allerdings auch noch eine zweite Variante. Die sieht vor, | |
einen der Tunnel, die neben dem Bahnhofgebäude den Verkehr unter den | |
Gleisen durchleiten, aufzuhübschen und mit Zugängen zu den einzelnen | |
Gleisen zu versehen. Das wäre jedem denkenden Menschen lieber, aber auch | |
erheblich teurer. Was Michaelsen aufregt: Für die Bahn und das | |
Bundesverkehrsministerium scheint erst einmal irrelevant, was Nutzer und | |
Stadt wollen. Im ersten Bewertungsschritt geht es nur darum, welche | |
Variante geeigneter ist, zusätzliche Kapazitäten zu schaffen und die | |
Umsteigezeit um eine Minute zu verkürzen. | |
Am Ende geht es vermutlich mal wieder bloß darum, wer den Zauber bezahlt. | |
Was bei oberflächlicher und laienhafter Betrachtung natürlich aussieht wie | |
der Streit darum, ob man das Geld jetzt aus der rechten oder der linken | |
Tasche des Steuerzahlers nimmt. Man zweifelt ein wenig an der Effizienz | |
dieses Systems. Kein Wunder, dass sich manche in die Kaiserzeit | |
zurücksehnen. Selbst wenn sie damals maximal Holzklasse gefahren wären. | |
6 Jun 2025 | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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