# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Ruth Lang Fuentes: Mit aufgerissenen Aug… | |
Da wären wir wieder. Berlin. Samstagabend. Kein Geld. Letzteres liegt aber | |
vor allem an uns. Drei Monate in Lateinamerika Che Guevaras „Motorcycle | |
Diaries“ nachzuahmen hat doch etwas mehr gekostet, als gedacht. Für zwei | |
Bierchen, ein paar selbst gedrehte Kippen und ein bisschen Mukke soll es | |
wohl noch reichen. „Ihr wisst Bescheid: freier Eintritt, Raucherbar und | |
drinnen keine Fotos, bitte“, sagt die Frau im Ledermantel an der Tür zum | |
Eschschloraque Rümschrümp. Wir nicken, ich frage mich, wie man auf so einen | |
weirden Namen kommt, wir treten ein. Von Licht angeleuchtete | |
Monsterfratzen blicken uns an, während wir eine Runde drehen. | |
Die durchgesessenen Sofas sind alle belegt, also sitzen wir irgendwann am | |
Tresen. Über uns hängt noch eine Fratze, kahler Kopf, spitzes Kinn, weit | |
aufgerissene Augen starren in die Tiefe des verqualmten Raumes und weiter. | |
30 Jahre feiert das Haus Schwarzenberg dieses Jahr, zu dem diese Kneipe im | |
zweiten Hinterhof auch gehört. Eine Enklave mitten im durchgentrifizierten, | |
sonst so schnieken Mitte. Ob der Kahlkopf an der Decke auch schon seit 30 | |
Jahren da hängt? Was er wohl alles gesehen haben muss. „Hat was von Steam | |
Punk“, sagst du und ich fühle mich ganz wohl in meiner schwarze Lederjacke, | |
die Vintage-Sonnenbrille mit den ovalen Gläsern lass ich aber in der | |
Jackentasche, wäre zu albern. Ob wir schon mal im Kabinett nebenan gewesen | |
seien, labert uns ein Typ von der Seite auf Englisch an, fette Tüte in der | |
Hand. Da gäbe es noch viel mehr Monster. „Ich liebe diesen Ort“, sagt er | |
dann und grinst. „It’s like Berlin Underworld.“ Er käme ja aus dem Liban… | |
erzählt er, wir reden (notgedrungen) etwas über Politik, bevor er seine | |
Freundin suchen geht. | |
Die elektronischen Beats vom DJ Pult fließen zu uns rüber, Du sagst, du | |
fühlst dich ein bisschen wie bei einer Zeitreise. Ich hingegen finde es | |
ganz nice, wie Paulina Panik und Oberst Panizza irgendwas zwischen Synth | |
Wave, Dark Disco, NDW und Post-Punk auflegen. Ein paar Leute tanzen. | |
Später. Wieder draußen auf der Rosenthaler Straße ist die Zeitreise in die | |
Unterwelt sofort Vergangenheit. | |
Touris tummeln sich im Hof, machen Selfies vor Überbleiseln längst | |
vergangener Zeiten, von der Dead Chicken Alley und ihren Graffitiwänden. | |
„Be different, be original“, lese ich an der Wand während ich mir den Weg | |
durch eine Gruppe weiß-shirtiger Mittdreißger bahne, die mich mit ihren | |
Gegröle an die Dorffeste meiner Jugend erinnern. Dann vorbei an geleckten | |
Schaufenstern. Ich frage dich, ob man alt ist, wenn man realisiert, dass | |
Mode „wiederkommt“, die man von früher kennt, und du nickst. Am S-Bahnhof | |
Hackescher Markt, die Treppe hoch, vorbei an einem in Decken gehüllten, | |
schlafenden Obdachlosen, steigen wir in die S7 zurück nach Hause. | |
„Wird schon niemand kontrollieren, so spät in der Nacht am Samstag“, sage | |
ich zuversichtlich. Nach zwei Stationen ein abgemagerter junger Typ im | |
Rollstuhl, der sich hastig den hingehaltenen verpackten Schokokeks | |
einsteckt, dann noch zwei Münzen. Er verlässt unseren, weiter geht’s im | |
nächsten Wagen. Noch eine Station. | |
„Die Fahrkarten, bitte!“ Shit. Der Kontrolletti steht unverhofft schon am | |
Vierer neben uns. „Ich habe noch ein Ticket auf meiner App“, flüsterst du. | |
Da steht er schon, junger Kerl, Ausweis um den Hals, Berliner Schnauze. | |
„Wir haben nur eins“, sage ich. Und sind auch sonst komplett pleite, will | |
ich noch hinzufügen. Aber das nützt jetzt auch nichts mehr. Wir werden auf | |
den Bahnsteig eskortiert. „Sie können jetzt direkt bezahlen, dann bleibt | |
das Ganze anonym“, sagt der Kontrolletti und zieht das Kartenlesegerät. Er | |
berechnet uns nur einmal die 60 Euro, ohne überhaupt zu kontrollieren, ob | |
das vermeintliche eine Ticket überhaupt existiert. Dann wünscht er uns | |
„trotz allem, noch ein schönes Restwochenende“. Die Gegenwart hat uns | |
vollends wieder. | |
3 Jun 2025 | |
## AUTOREN | |
Ruth Lang Fuentes | |
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