# taz.de -- taz🐾thema: Soundtrips, Klangräume, Stille | |
> Konzerte mit abenteuerlicher Musik gibt es beim Jazz in E. in Eberswalde, | |
> in Bunkern in NRW, einem Berliner Festival im Zeichen der Stimme, dem | |
> Klangfrieden von Moers und musikalischen Konfrontationen im | |
> österreichischen Burgenland | |
Bild: Zur Eröffnung des Moers Festivals widmet sich die israelische Musikerin … | |
Von Robert Mießner | |
Am Anfang der Tusch: In diesem Jahr feiert das Eberswalder Festival Jazz in | |
E. sein 30. Jubiläum (28.–31. 5.). Veranstaltet von Jazzliebhaber Udo | |
Muszynski und dem Verein „Wege zur Gewaltfreiheit“, ist das, wie es im | |
Untertitel heißt, „Festival aktueller Musik“ eine Reihe ohne | |
Reinheitsgebot: Jazz in E. stand unter Motti wie „Volksmusik“ oder | |
„Tanzmusik“ und bot Jaki Liebezeit, Drummer der Krautrock-Legende Can, eine | |
Bühne. | |
Deren Bretter stehen mittlerweile in dem Kulturhaus des ehemaligen | |
Volkseigenen Betriebs (VEB) Rohrleitungsbau Finow auf dem Gelände des | |
jetzigen Rofin-Gewerbeparks Eberswalde, einem Stück Industriekultur. Zwei | |
der Jazz-in-E.-Gratulanten kennen sich mit Musik an besonderen Orten aus: | |
Der Saxofonist Warnfried Altmann schätzt die Akustik von Kirchenbauten, der | |
Posaunist Conny Bauer nutzte schon den Wasserspeicher Severin in Köln oder | |
das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig als Klangraum. Beide spielen am 31. | |
Mai in Eberswalde. | |
Mehr Musik aus und an ungewöhnlichen Orten veranstalten seit zwölf Jahren | |
die Soundtrips NRW (bis 14. 9.). Im Wortsinn handelt es sich bei ihnen um | |
Klangreisen in mittlerweile 15 assoziierte Städte in Nordrhein-Westfalen. | |
In diesem Jahr haben Almut Kühne und Joke Lanz das Festival eröffnet: Die | |
Sängerin und der Noise-Musiker sind mit Gästen unter anderem im Bielefelder | |
Bunker Ulmenwall aufgetreten: Der Keller ist 1939, im ersten Jahr des | |
Zweiten Weltkriegs, als Sanitätsbunker errichtet worden. Dass der Bunker | |
nach der Befreiung vom Faschismus der sozialistischen Jugendgruppe Die | |
Falken ein Zuhause wurde und später Jazz- und Improvisationsmusikern wie | |
Albert Mangelsdorff, Elliott Sharp oder Julia Hülsmann einlud, ist eine | |
schöne Volte der Geschichte. | |
Am 30. Mai kommen der Sänger, Musiker und Komponist Girilal Baars aus dem | |
schwedischen Uppsala und die in Berlin lebende Jazzbassistin und | |
Improvisatorin Isabel Rößler in den Bielefelder Bunker, vorher sind sie | |
bereits mit wechselnden Gästen auf bundesweiter Festivaltour. Wer Rößlers | |
Auftritte kennt, weiß, dass das ein Trip zum Erinnern wird. | |
An drei historischen Orten findet in Berlin-Friedrichshain das Festival | |
Paradise Must Be Nice statt (6.–8. 6.). Es steht im Zeichen der Stimme, | |
Instrument des Jahres 2025. Die Eröffnung findet statt in der | |
denkmalgeschützten Zwingli-Kirche statt, sie diente als Kriegslazarett und | |
fungierte zu DDR-Zeiten als Bücherlager der Staatsbibliothek und | |
Ersatzteillager für Orgeln. Beginnen wird die französisch-palästinensische | |
Sängerin Maï, deren Stimme geräuschhaft und fragil klingen kann. | |
Am selben Abend spielt auch ägyptische Musiker und Künstler Abdullah | |
Miniawy. Gemeinsam mit Robinson Khoury und Jules Boittin präsentiert er in | |
einem Trio-Projekt ein Amalgam aus Jazz und ägyptischen Klangtraditionen. | |
Ein Konzert von ihnen beim CTM-Festival im Januar wusste zu überraschen. | |
Die Kombination nordamerikanischer und nordafrikanischer Klangästhetik hat | |
selbst eine lange Geschichte, man denke an Duke Ellingtons „Pyramid“ und | |
die weiterführenden Orient-Erkundungen von Yusef Lateef. | |
## Letzter Tag im Paradies | |
In der Galiläa-Kirche, zu DDR-Zeiten ein Ort jugendlicher Unfolgsamkeit, | |
wird das Paradies indes elektrifiziert: Rosa Anschütz, Jonas Yamer und Till | |
Funke geben ihr Live-Debüt als Trio Spoil, Hinzu kommen das Masshysteria | |
Collective mit einer Tanzdarbietung und Ambient mit Lyricdata. Der letzte | |
Tag im Paradies neigt sich in der Neuen Zukunft in Alt-Stralau. Bis zur | |
Wende befanden sich in der Nachbarschaft Betriebe der Binnenschiffahrt, | |
Glasherstellung und Mikrobiologie. Zu der Straße gehörte mit dem | |
Durchgangsheim der DDR-Jugendhilfe – ein schlimmer Ort. 2025 stehen | |
Hardcore, Industrial und Noise auf dem Programm. Ob ein Exorzismus gelingt? | |
Am unteren Niederrhein, steigt das „Jazzfestival für Musik, Miteinander, | |
Freysinn und Klangfriede“, wie sich in seinem 54. Jahr das mœrs festival | |
(6.–9. 6.), seit 2017 geleitet vom Musiker Tim Isfort,selber vorstellt. | |
Klangfriede? Auf dem Programm steht unter anderem der Berliner Musiker | |
Capar Brötzmann. Der Gitarrist und Sänger spielt in einem Noise-Rock-Trio | |
namens Massaker, als Bassist hat er unlängst das malstromhafte Album „The | |
Lovers and Destroyers“ veröffentlicht. Aber vielleicht ist es gerade so, | |
dass inmitten großen Tosens sich plötzlich eine enorme Ruhe einstellt. | |
Der Kraft der Stille widmet sich das Uraufführungsprojekt „Sei still!“, | |
eine Komposition der israelischen Musikerin Maya Dunietz und des | |
US-amerikanischen Klangkünstlers William Northlich-Redmond. Dunietz hat | |
Improvisationsmusik gespielt, arabische Lieder interpretiert und den Gesang | |
der Sami studiert; Northlich-Redmond alias BlipVert ist in der | |
Elektronischen Musik beheimatet und betreibt eine Tributcombo für den | |
Blues-Avantgardisten Captain Beefheart. In seinen Kompositionen finden sich | |
Einflüsse aus balinesischem Gamelan wie aus Hardcore. | |
Die Stille in Moers dürfte keine Leisetreterei werden. Wahrscheinlich muss | |
das so sein: Das Festival – angefangen hat es 1972 im Innenhof des Moerser | |
Schlosses und spielt mittlerweile in der enni.eventhalle sowie seit 2021 im | |
Moerser Stadtpark – hat seit 2010 mit akuten Sparzwängen zu tun gehabt. | |
Dass es weiter stattfindet, ist keine Selbstverständlichkeit. | |
Konfrontationen ist der treffende Name des Festivals, das in der | |
Jazz-Galerie Nickelsdorf zuhause ist (25.–27. 7.). In der zweiten Hälfte | |
der 1970er Jahre übernahm Hans Falb, er selbst nennt sich einen | |
„Jazz-Besessenen“, von seinen Eltern den Gasthof, der im östlichsten | |
Österreich, im Burgenland, zu einer der Adressen des experimentellen Jazz | |
geworden ist. Der Begriff ist dabei weit gefasst. Das Festivalplakat von | |
1980 führt zusätzlich Theater, Bildende Kunst und Literatur programmatisch | |
an. | |
Ein Pianist, der 1980 bereits dabei war, ist in diesem Jahr wieder bei den | |
Konfrontationen dabei: Der stilprägende Freejazzer Alexander von | |
Schlippenbach bringt den Alt-Saxofonisten Nuno Torres, Cellisten Guilherme | |
Rodrigues, Geiger Ernesto Rodrigues und Drummer Willi Kellers mit: In der | |
interessanten Instrumentenkombination ist 2023 das Album „Conundrum“ | |
erschienen – neun Titel für mythologische Monster, absolut hörenswert! | |
Ebenfalls gebucht ist das Quartett Flight Mode: Pianistin Elisabeth Harnik, | |
Sopransaxofonist Harri Sjöström, Bassist John Edwards und Drummer Tony Buck | |
spielten vor Kurzem das Berliner Panda-Theater in einen Intensitätsrausch. | |
Das Duo Moor Mother & Roscoe Mitchell schließlich verbindet | |
generationenübergreifend afroamerikanische Ästhetik, die nicht zuletzt | |
eine des Widerstands ist. | |
24 May 2025 | |
## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
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