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# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Marielle Kreienborg: 70 Millionen Curryw…
Am Wochenende verlasse ich Neukölln in Richtung des reichen Bezirks
Zehlendorf. Sein Villenprunk plättete mich schon als Studentin bei jeder
Anreise. Zehn Jahre später kehre ich zurück, um mir gemeinsam mit meinem
Neuköllner Nachbarschaftstreff die Domäne Dahlem anzusehen: eine Mischung
aus Freilandmuseum und Biobauernhof auf einem ehemaligen Rittergut.
Doch bevor wir an Sperrmüllberge und Ratten gewöhnten Bewohner:innen
der Weißen Siedlung überhaupt in die Nähe jener Naturoase kommen, bricht
erst einmal ein Streit vom Zaun: Einige haben nämlich mitbekommen, dass
andere nicht die Öffis zur Anreise nutzen, sondern „Taxe fahren“.
Der Reisegruppe Öffis stößt das sauer auf: „Die können sehr wohl. Die
wollen bloß nicht!“ „Und das ist ja auch weit, janz raus bis nach
Zehlendorf!“ „Was man alles machen könnte mit dem Geld!“ Schließlich ei…
man sich darauf, dass die Taxe sicher im Stau stehen und man selbst somit
vor den Gehfaulen am Ziel sein würde.
Dieser Gedanke spendet Trost, und endlich fahren wir los. Wir, damit meine
ich die alters- wie herkunftsbedingt heterogene Gruppe, die in den
Hochhäusern der [1][Weißen Siedlung] lebt: Gisela, die mit ihren
dreiundachtzig Jahren im Erstbezug seit über fünfzig Jahren in der Siedlung
lebt, Mona, die das wöchentliche Frauenfrühstück organisiert, aber auch
Elif und Eymen, die drei und fünf und ziemlich aufgeregt sind, weil sie
heute vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben eine Kuh sehen.
Meinen Sitznachbarn Erwin kenne ich bereits vom letzten Ausflug: im
„[2][Spreepark Art Space]“ und der Ausstellung zum ehemaligen
Vergnügungspark ließ er für jeden Pfannkuchen, den wir am Ende vorm
Eierhäuschen verspeisten, auch einen in seine Jackentasche wandern.
„Wo fahren wir eigentlich hin?“, fragt er mich jetzt. Ich grinse, denn ich
finde es jedes Mal wieder verwunderlich, wie egal den meisten Älteren die
Ziele unserer Ausflüge sind. Jedes Zusammensein ist für sie besser als
Einsamkeit. „[3][Domäne Dahlem]“, antworte ich. „Düppel?“, fragt Erwi…
„Dümpeln?!“, frage ich verwirrt. „Ne. Dahlem. Daaaaaaaaahlem.“ – „…
Düppel“, erklärt Erwin und mir Anna-Lena, die Leiterin des Kulturprojektes,
das unsere monatlichen Ausflüge ermöglicht, „wart ihr im letzten Jahr. Da
wart ihr im Museumsdorf. Mit Eileen damals noch.“ – „Eileen!“ Ein Strah…
macht sich breit auf Erwins Gesicht: „Die war ne janz Tolle!“ Dann, nach
kurzer Stille: „Wat nich heißn soll, dass du nich och nett bist!“
Als wir nach aufregendem Umsteigen schließlich in Dahlem-Dorf aus der
U-Bahn tuckern, begrüßt uns ein Regenschauer. Wir steuern also zunächst das
Museum „Culinarium“ zur Kulturgeschichte der Ernährung in einem
restaurierten Pferdestall an: und lernen, eine Kuh zu melken, die Anzahl
existierender italienischer Nudelsorten (350) und wie viele Currywürste die
Menschen allein in Berlin jedes Jahr vertilgen (70 Millionen!).
Eine Stunde später hält der Regen immer noch an und aus dem geplanten
Picknick auf den Feldern wird ein Essen im Landgasthaus. Dort weiten zwei
Ereignisse die Augen des Berliner Urschleims: „Haste jesehen?! 6,50 € für
Kartoffelsalat!“ Am Ende bestellen sie ihn natürlich trotzdem: „aba mit
Knacker“ und die Käse-Lauch-Suppe – „aba schön mit Cabanossi“.
Denn nun will die größte Sehenswürdigkeit des Tages am Tisch gegenüber
bestaunt werden: Eine ältere Frau hat dort einen weitaus jüngeren Mann
geheiratet. „Das sind ja jut und jerne zwanzig Jahre“, raunt Gisela,
fasziniert, und starrt Braut und Bräutigam an. Dann gluckst sie: „Nu, ’n
paar Jährchen hab ick ja noch … vielleicht …kommt dit in Zukunft ja noch
öfter vor!“
27 May 2025
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## AUTOREN
Marielle Kreienborg
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