# taz.de -- Die Sichtbarkeit der Kriege | |
> Zerstörung, Erinnerung, Alltag: Die Frage, wie und ob Bilder Krieg | |
> möglichst unverstellt und ethisch vertretbar widerspiegeln können, wirft | |
> eine Ausstellung in Braunschweig auf | |
Bild: Yvonne Salzmanns Serie „WAR und ist KRIEG“ verschmilzt behütete bund… | |
Von Bettina Maria Brosowsky | |
80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, 50 Jahre nach dem Vietnamkrieg | |
– und andauernde Kriege, nicht nur in Europa: Darf man da guten Gewissens | |
irgendeines Jahrestages gedenken, gar irgendetwas „feiern“? Das | |
Braunschweiger Museum für Photographie entschied sich für eine Ausstellung | |
mit zwei thematischen Schwerpunkten fotografischen Erinnerns. Sie sind | |
verteilt auf die beiden Torhäuser des Museums. | |
Teil eins nimmt auf den 8. Mai 1945 Bezug, also gleichermaßen die | |
bedingungslose Kapitulation der deutschen Streitkräfte wie die Befreiung | |
von der Schreckensherrschaft des NS-Regimes. Mit Archivmaterial zeigt er | |
die Zeit und die Auswirkungen dieses Krieges fotografisch auf und nimmt | |
damit Aspekte gesellschaftlicher Realität und Spuren in den Blick, die bis | |
heute wahrnehmbar sind. Der zweite Teil zeigt Reflexionen durch | |
gegenwärtige Fotokünstler:innen, auch ihren teils direkten Bezug auf | |
historische Bildquellen. Dazu gesellt sich ein kleiner Exkurs, nicht nur | |
zum aktuellen Krieg in der Ukraine, von Mykyta Manuilov aus Charkiw: Seit | |
2022 [1][studiert er in Deutschland]. | |
Allen Bildzeugnissen gemeinsam ist die Fragestellung: Kann man Kriege | |
überhaupt fotografisch erfassen? Wie verändern sich Aufmerksamkeit und | |
Blickwinkel, wenn ein langer Krieg zum Alltag wird? Die Ausstellung berührt | |
auch ethische Dimensionen der Kriegsberichterstattung. Sie thematisiert | |
dabei den schmalen Grat zwischen Dokument und Sensation, Neutralität und | |
Agitation, auf dem sich Fotografie bewegt. Als internationale | |
Referenzgrößen dienen die Hero:innen der Kriegsfotografie: Lee Miller | |
(1907–1977), Robert Capa (1913–1954) und der US-Soldat Tony Vaccaro | |
(1922–2022), den das Museum bereits zu seinem 100. Geburtstag gewürdigt | |
hatte. | |
Eine reiche Materialfülle aus eigenem Bestand, dem Braunschweiger | |
Stadtarchiv und von Leihgeber:innen zeichnet zuvorderst das exemplarische | |
Porträt einer in den Kriegsjahren nach und nach zerstörten Stadt. | |
Privatpersonen war es verboten, Kriegsschäden zu dokumentieren. Wie | |
andernorts waren auch in Braunschweig wenige offizielle Fotografen damit | |
betraut, darunter Ruprecht Rieger (1901–1958), der seit den 1930er-Jahren | |
für die staatliche Denkmalpflege tätig war. Er hatte schon 1935 die | |
propagandistisch motivierte Aufdeckung der Grablege Heinrichs des Löwen und | |
seiner Frau Mathilde im Braunschweiger Dom begleitet. Das Ergebnis fiel | |
ernüchternd aus, offenbarten die Gebeine Heinrichs doch statt eines | |
nordischen Recken laut Historiker Ulrich Menzel nur einen „zu kurz | |
gewachsenen Hinkefuß“. Rieger hatte das alte Braunschweig erfasst und | |
fotografierte systematisch die Zerstörungen nach Bombenangriffen, stets mit | |
dem Auge eines an Architektur und Stadtbild Geschulten. Nur | |
stehengebliebene Kirchtürme bilden noch vertikale Dominanten in seinen | |
sachlichen Bildkompositionen. | |
Auch die Amateurfotografin Gertrud Bergmann (1896–1974) durfte tätig | |
werden. Sie war die Schwester des Kreisleiters der Stadt, Friedrich | |
Bergmann. Dieser verweigerte vor der Einnahme der Stadt durch US-Truppen am | |
12. April 1945 den Befehl, alle Brücken sprengen zu lassen. Wenige Tage vor | |
Kriegsende wurde er deshalb noch exekutiert. | |
Gertrud Bergmanns liebevoll zusammengestellte Kartonbögen und ein Album | |
kommentieren auch immaterielle Erosionen durch den Krieg. Das zivile | |
Nachkriegsleben wiederum, die Beräumung des Trümmerschutts, heimkehrende | |
Soldaten, frühe Konsumangebote oder auch die lange als Notunterkünfte | |
umgenutzten Bunker wurden zentrale Themen des lokalen Bildjournalisten Hans | |
Steffens (1915–1994). | |
Die nach wie vor in deutschen Stadtbildern präsenten, nicht selten zu | |
Luxusimmobilien mutierten Bunker dokumentierte in den späten 1980er-Jahren | |
der Kölner Fotograf Boris Becker. Aus seinem etwa 180 Exemplare umfassenden | |
Konvolut sind acht regionale Beispiele zu sehen. Besonders perfide: ein | |
Braunschweiger Hochbunker am Ort der 1938 in den November-Pogromen | |
zerstörten Synagoge, errichtet mit der konstruktiven Maßgabe, eine | |
Fassadenattrappe aus Fachwerk vorzublenden. | |
Auf die „mechanische Auflockerung“ der Städte durch die | |
Flächenbombardements der Alliierten, so ein 1946 durch den Berliner | |
Architekten Hans Scharoun geprägter Euphemismus, folgten in Ost und West | |
nicht selten gigantische, planungsideologisch begründete weitere | |
Kahlschläge. | |
Eindringlich demonstrieren dies eine Aufnahme des Berliner Alexanderplatzes | |
durch Hein Gorny, unmittelbar nach 1945, sowie die Überblendung mit dem | |
Baubestand anno 2023 durch Michael Wesely. Eine solche | |
Mentalitätsgeschichte deutschen Verdrängungsverlangens aber wäre ein ganz | |
eigenes Thema. | |
30 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.klassejudithsamen.com/kopie-von-michelle-stanke-1 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |