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# taz.de -- der leitartikel: Der neue Merz will versöhnen. Es allen recht zu m…
Von Anna Lehmann
Wo ist eigentlich Fritze Merz? Jener CDU-Chef, der dem damaligen
SPD-Kanzler vor sechs Monaten attestiert hatte, es sei zum „Fremdschämen“,
wie der sich in der EU bewege? – Weg! Seit dem 6. Mai ist da nur noch
Friedrich Merz, der sich bei Olaf Scholz in seiner ersten
Regierungserklärung bedankte und es allen recht machen wollte. Seitdem er
Kanzler ist, zeigt sich Merz geläutert, will versöhnen statt spalten. Eine
schöne Geschichte. Zu schön, um wahr zu werden. Denn die Widersprüche, die
in seiner Politik und der Koalition schlummern, kann Merz nicht mit sanften
Worten glätten. Er wird harte Entscheidungen treffen müssen, die nicht nur
ihm weh tun werden.
Gut, den Auftakt von Merz’ Kanzlerschaft kann man nach [1][dem
verstolperten Start] als gelungen bewerten. Es war klug, Warschau am selben
Tag wie Paris zu besuchen: ein Signal der Wertschätzung, auf das man in
Polen lange gewartet hatte. Gleich darauf die Zugfahrt nach Kyjiw: der
Besuch der europäischen Schwergewichte Deutschland, Frankreich, Polen und
Großbritannien beim ukrainischen Präsidenten, die im Chor vorgetragene
Forderung nach einer Waffenruhe, telefonisch unterstützt von Donald Trump.
All das hatte Drive. Verglichen mit [2][den Aktivitäten des US-Präsidenten]
im gleichen Zeitraum, ist da das beruhigende Gefühl, dass im deutschen
Regierungsflieger jemand sitzt, der seine Amtszeit nicht in erster Linie
dazu nutzen will, Deals und Kasse zu machen. Merz geht es wirklich darum,
Deutschland und Europa voranzubringen.
Aber schon in dieser Aufzählung schwingen Widersprüche mit. Außenpolitisch
handelt Merz europäisch, innenpolitisch national. So kündigte er im
Bundestag an, Europa weit voranzubringen und den europäischen Binnenmarkt
zu vertiefen. Der beruht auf freiem Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und
Personenverkehr. Doch während Merz bei Donald Tusk antichambrierte,
schickte sein Innenminister T[3][ausende Bundespolizisten los], die
unerwünschte Migrant:innen von der Einreise abhalten sollen. Ganz so, wie
es Merz im Wahlkampf angekündigt hatte mit dem Zusatz, nicht nach rechts
und links zu schauen. Täte ihm aber inzwischen gut, denn der Verkehr
stockt. Lange Staus auf polnischer Seite sind Folge der symbolischen
Migrationswende. Und in Warschau ist man sauer auf die Deutschen. Merz muss
sich entscheiden: Verprellt er die europäischen Nachbarn oder die eigene
Wählerschaft? Der versprach er: Grenzen dicht, Kontrolle da, Probleme weg.
Wäre es nur so einfach.
Auch in der Wirtschaftspolitik droht Merz Opfer seiner Simplifizierungen zu
werden. Statt auf komplizierte Konzepte setzte die CDU lieber auf platten
Kulturkampf: Schluss mit woker Work-Life-Balance und staatlich
alimentierter Sorglosigkeit. Merz’ Credo: Steuern runter, Ärmel
hochkrempeln und faule Bürgergeldempfänger:innen zum Arbeiten
zwingen, dann klappt’s auch mit dem Aufschwung. Doch die deutsche
Wirtschaft steckt fest. Die erratische Zollpolitik Trumps und die
allgemeine, transformationsbedingte Unsicherheit versprechen keine
wundersame Belebung. Perspektivisch werden Bund, Ländern und Kommunen in
den nächsten fünf Jahren 80 Milliarden Euro fehlen. Geld, das eingeplant
war, um im Koalitionsvertrag verabredete Einnahmeausfälle zu kompensieren.
Die Senkung der Körperschaftsteuer etwa muss erst mal finanziert werden,
ebenso Steuerrabatte als Anreiz, Überstunden zu machen oder als
Rentner:in weiterzuarbeiten.
Abgesehen davon, dass mehr als 40 Prozent der Arbeitnehmer:innen
bereits Überstunden machen, davon wiederum die Hälfte unbezahlt, ist zu
erwarten, dass die strukturelle Ungleichverteilung von Arbeit eher zunehmen
wird. Nur 13 Prozent der Männer, aber 50 Prozent der Frauen arbeiten in
Teilzeit. Frauen am häufigsten, weil sie sich um Kinder und Angehörige
kümmern. Wenn Merz es wirklich ernst meint mit dem Ärmelhochkrempeln,
müsste seine Koalition dies in erster Linie den Frauen ermöglichen, indem
Betreuungsangebote ausgebaut und steuerliche Fehlanreize wie das
Ehegattensplitting beseitigt werden. Letzteres dürfte der CDU-Basis kaum zu
vermitteln sein.
Aber auch SPD-Finanzminister Lars Klingbeil, der gern Investitionsminister
wäre, droht in Widerspruch zu eigenen Ankündigungen zu geraten. Statt
sozialdemokratischer Nachfragepolitik muss Klingbeil wohl knallharte
Sparpolitik machen. Zudem wurde er von der Ansage des Außenministers
überrascht, dass künftig 5 Prozent vom BIP für Verteidigung geblockt werden
sollen, was gut 200 Milliarden Euro entspricht. Das ist wenig hilfreich für
die Harmonie in der Koalition. Womöglich heißt es bald: Friedrich der
Schreckliche gegen Lars den Störrischen.
17 May 2025
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## AUTOREN
Anna Lehmann
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