# taz.de -- das wird: „Ich habe unter der Bettdecke den Ton aufgenommen“ | |
> Mit ihrem Film „Stimmen einer Straße“ hat Helga Weiss in Braunschweig | |
> Politik gemacht | |
Interview Wilfried Hippen | |
taz: Frau Weiss, in Braunschweig wird ein Video aufgeführt, dass Sie im | |
Jahr 1993 gedreht haben. Wie fühlen Sie sich dabei? | |
Helga Weiss: Ich sehe mich selber in dieser Zeit. Ich habe zum Beispiel | |
damals ja auch meine eigene kleine Tochter gefilmt und die ist jetzt über | |
40 Jahre alt. Mich stört nur, dass die Bilder nicht mehr so gut aussehen | |
wie damals. | |
taz: Wie kam es dazu, dass Sie eine Dokumentation über die damals in | |
Braunschweig berüchtigte Jahnstraße gemacht haben, in der Sie auch selbst | |
wohnten? | |
Weiss: Ich war 1965 in die USA gegangen und bin dann 1990 wieder nach | |
Deutschland gekommen. Nach dem Mauerfall herrschte erst einmal Wohnungsnot | |
und so bin ich zusammen mit meiner Tochter in die Jahnstraße gezogen. | |
Kohleöfen, Außenklos, so etwas kannte ich ja gar nicht. | |
taz: Sie hatten zuvor noch nie mit einer Filmkamera gearbeitet. Warum haben | |
Sie dann dieses Video gemacht? | |
Weiss: Davor gab es eine Ausschreibung vom NDR für ein Videotagebuch und | |
ich habe mit einer geliehenen Kamera über unser Leben in der Jahnstraße das | |
Video „Einsame Wohnungen“ gedreht, das 1991 auch ausgestrahlt wurde. Heidi | |
Wanzelius vom Braunschweiger Forum hat es gesehen, mich kontaktiert und | |
daraus ist dann das Video „Stimmen einer Straße“ entstanden. | |
taz: Unter welchen Umständen haben Sie den Film gedreht? | |
Weiss: Das war alles sehr abenteuerlich. Ich habe mich bei den Dreharbeiten | |
oft den Menschen vor meiner Kamera angepasst. Zum Beispiel habe ich im Film | |
gesagt: „Sie sind meine Nachbarn. Heute Abend darf ich ihre selbst | |
geräucherten Würstchen probieren.“ Was ich dann aber nicht gemacht habe, | |
weil ich Vegetarierin bin. | |
taz: Dafür, dass Sie sich das Filmhandwerk selbst beigebracht haben, sieht | |
der Film überraschend gut aus … | |
Weiss: Ich hatte ja nur meine Amateurausrüstung. Vor allem die | |
Nachvertonung war schwierig. Ich habe dafür oft bei mir zu Hause unter der | |
Bettdecke den Ton aufgenommen, damit es nicht hallte und keine | |
Nebengeräusche zu hören waren. Und ich habe auch bei einer Reise in die USA | |
an dem Film gearbeitet. | |
taz: Der Film sieht aus, als wären alle Aufnahmen in Braunschweig gedreht | |
worden. | |
Weiss: Die Aussagen am Anfang des Films, in denen die Jahnstraße als | |
Chaotenviertel und Ghetto von Braunschweig bezeichnet wird, habe ich meinem | |
Ex-Mann und einem seiner Freunde in Kalifornien in den Mund gelegt. | |
taz: Aber die kannten doch Braunschweig gar nicht. Haben Sie da nicht | |
geschummelt? | |
Weiss: Eigentlich nicht, denn die Aussagen waren ja von Leuten in | |
Braunschweig. Aber ich konnte sie dort gerade nicht aufnehmen. | |
taz: War „Stimmen einer Straße“ eine bezahlte Auftragsarbeit? | |
Weiss: Nein, ich habe ihn umsonst für das Braunschweiger Forum gedreht. Er | |
wurde gemacht um durchzusetzen, dass das westliche Ringgebiet von | |
Braunschweig renoviert wird. | |
taz: War die Kampagne erfolgreich? | |
Weiss: Ja, nachdem er zum Beispiel während einer Bezirksratssitzung gezeigt | |
wurde, hat die Stadt auch aufgrund meines Films die Jahnstraße mit 1,3 | |
Millionen Euro saniert. | |
23 May 2025 | |
## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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