# taz.de -- das wird: „Die Dinge haben einen Zauber“ | |
> Das Festival der Philosophie will die Philosophie zugänglich machen, | |
> nähert sich dem Heiligen | |
Interview Lotta Drügemöller | |
taz: Frau Verrone, beim philosophischen Festival in Hannover fragen Sie | |
dieses Jahr „Was ist dir heilig?“. Das erinnert eher an den Kirchentag! | |
Assunta Verrone: Der Gedanke des Heiligen ist sehr alt in der Philosophie. | |
Platon sagt uns in einem Text: „Der Anfang unserer Gesetzgebung sei nun | |
folgender, und zwar soll er vom Heiligen ausgehen.“ Platon geht vom | |
Heiligen aus, damit wir den Anderen besser verstehen. | |
taz: Ich habe das Heilige immer anders verstanden: Als etwas Absolutes, das | |
ich nicht hinterfragen darf; das Gegenteil der Verständigung. | |
Verrone: Es geht darum, in den Dialog zu treten mit einer anderen | |
Dimension. Im Internet suchen wir nur uns selbst, die Antworten, die wir | |
wollen. Das Heilige ist das Andere. Wer sich nicht darauf einlässt, stirbt | |
in seiner Suppe. | |
taz: Das Andere – also: Gott? | |
Nicht unbedingt. Etwas, das ihm heilig ist, hat fast jeder Mensch. Das kann | |
die Verfassung sein, die Würde des Menschen. Aber auch die Gesundheit, die | |
Familie. Der Tod. | |
taz: Ist „das Heilige“ dann nicht ziemlich beliebig? | |
Verrone: Nein, es ist eine Rückbesinnung auf das, was einem am Wichtigsten | |
ist. Wir leben in einer Zeit, in der es sehr viel Zerstreuung gibt. Für das | |
Philosophiefestival fragen wir: Was liegt in der Luft? Dann wählen wir ein | |
Motto – meist mit einem Fragezeichen. Was ist dir heilig, das fragt danach: | |
Was ist der Sinn des Lebens, was ist der Kern? | |
taz: Könnte ich „Das Heilige“ mit anderen philosophischen Begriffen | |
ersetzen? Wie wäre es mit „das Gute“? | |
Verrone: Das reicht nicht aus. Rudolf Otto aus Niedersachsen, aus Peine, | |
hat 1917 in seinem Buch intellektuell erfasst, was das Heilige ist. Die | |
Dinge sind nicht nur die Dinge an sich, sie haben einen Zauber, der über | |
sie hinausweist. Für Otto war das Heilige nicht einfach etwas Gutes, für | |
ihn war es auch etwas Schreckliches, etwas Übermenschliches. Er erschrickt | |
davor. | |
taz: Otto war Theologe. Das Festival hat aber viele Referent*innen aus | |
ganz handfesten, weltlichen Bereichen. | |
Verrone: Ja, wir suchen nach Antworten in vielen Disziplinen. Wir wollen | |
auch wissen, was das Heilige in der Wirtschaft heißen könnte. | |
taz: Wie spielt es da rein? | |
Verrone: Zum Beispiel durch die Erkenntnis: Es gibt eine Hierarchie unter | |
den Dingen. Trinkwasser ist wichtiger als eine von Menschen produzierte | |
Ware. | |
taz: Haben Naturwissenschaftler*innen eine Antwort auf das Heilige? | |
Verrone: Sie suchen danach. Eine Referentin, Petra Schwille, ist | |
Biophysikerin. Sie fragt, was zwischen den materiellen Dingen und dem Leben | |
steht. | |
taz: Aber ich vermute, sie fragt mit den Mitteln der Physik? Die | |
Wissenschaft geht ja selten von etwas Absolutem aus, sondern lebt davon, | |
Erkenntnisse zu hinterfragen. | |
Verrone: Wir werden es nicht erleben, alle Antworten zu haben. Auch | |
Wissenschaftler sind Menschen, die Entscheidungen treffen müssen im Hier | |
und Jetzt. Soll ich eine Familie gründen? Der Mensch braucht etwas, das ihn | |
leitet. | |
taz: Sie organisieren das Festival in Hannover jetzt schon seit 2008, | |
ehrenamtlich. Was ist ihr Antrieb? | |
Verrone: Die Idee, die Philosophie wieder auf öffentliche Plätze zu | |
bekommen, haben wir aus Modena übernommen. Wir wollten das auch für | |
Deutschland – in den Unis ist Philosophie nicht sehr zugänglich. Aber | |
Menschen haben doch das Bedürfnis, sich auszutauschen über große Fragen. | |
21 May 2025 | |
## AUTOREN | |
Lotta Drügemöller | |
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