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# taz.de -- Ausgehen und rumstehenvon Katja Kollmann: Der Freak in der ersten R…
Ich bin ein Freak. Wenn man mir die Möglichkeit gibt, viermal am Tag ins
Theater zu gehen, dann mache ich das. Ich habe meinen Latte to go dabei und
fange um 11 Uhr im Theater Strahl an. Viel zum Nachdenken zu früher Stunde
am Ostkreuz, geht es doch in „Troja – Blinde Passagiere im trojanischen
Pferd“ um nichts weniger als die ewige Frage, warum Menschen immer wieder
Kriege führen wollen.
Aus Herne im Ruhrpott sind eingeflogen Hermes, der rappende Götterbote, und
ein trojanisches Pferd. Darin verstecken sich zwei Kinder vor dem Krieg und
lernen sich kennen. Das eine kommt von den griechischen Kriegsschiffen, das
andere aus Troja. Da kracht es erst mal richtig und die beiden werfen sich
ihre diametral entgegengesetzten Thesen über die Vorgeschichte des
Trojanischen Kriegs lautstark an den Kopf! Danach zieht sich
Hermes-Darsteller Gareth Charles einen herrlich fallenden weißen Rock an
und hat als Helena eine ganz eigene Sicht auf die Dinge!
Ist auch Zeit geworden, dass die auch mal ihre Meinung sagen darf, denke
ich. Ich liebe das „Augenblick mal“-Festival! Kinder- und Jugendtheater at
its best, da gebe ich mir das ganze Programm. Also um zwei in den Wedding
ins Atze Musiktheater. Ich sitze in der ersten Reihe, auf der Bühne sind
zwei alte Sessel. Kleine violette Plastikbälle streben in alle Richtungen.
Das Stück aus Münster heißt „Der Katze ist es ganz egal“, und die Katze …
wichtig, auch wenn sie auf der Bühne nicht auftaucht. Denn sie mag den
Menschen vorbehaltlos, der sich auf einmal Jennifer nennt. „Nicht jeder mit
Penis muss gleich ein Junge sein“, versteht Jennifers alter Freund, und das
tut ihr gut. Mensch, denke ich, im Kindertheater werden die wirklich
wichtigen Themen verhandelt, und schaue gebannt den beiden
Schauspielerinnen zu, die Happyend-mäßig auf den Bällen diven.
Das Theatertreffen lockt mich auch, und so stehe ich um halb fünf auf der
Matte im Martin-Gropius-Bau. Da soll es ein aus Wien importiertes
Virtual-Reality- Erlebnis geben: EOL. Steht für End of Life. Alles klar,
denke ich, das überlebe ich schon, und setze mir die VR-Brille auf. Ich mag
diese VR-Theater-Sachen: Gerade weil ich visuell ganz woanders bin, spüre
ich die Mitte meines Körpers viel bewusster als sonst. Heute gehe ich
gleich in den Widerstand zu meinem VR-Coach, der versucht, meine
Entscheidungen in der virtuellen Welt zu beeinflussen. Irgendwann holt mich
ein Floß ab, und ich fahre wie von selbst auf einen unendlichen schwarzen
Ozean hinaus. Das ist ein ästhetisch betörender Moment, den es am Ende der
„Reise“ etwas abgewandelt noch mal gibt. Da bin ich in Begleitung eines
kleinen sympathischen VR-Mädchens, das mir vorher seine Geschichte
anvertraut hat: von seinem Tod und dem schnellen Vergessenwerden danach.
Zurück in der analogen Welt rase ich zur U-Bahn und komme gerade noch
rechtzeitig zu „Schroffenstein“ im Heimathafen Neukölln. Kleist reloaded
von „glanz&krawall“ – mit den Schaumstoffpuppen von „Das Helmi“ als
Gartenbau-Proletariat im spießigen Horrorgarten der Schroffensteins. Es
geht um die gesellschaftliche Schieflage, dass einige erben und die anderen
nicht. Kleist+Kreative Wut+Mut zur Unterhaltung+gute Dramaturgie, die alles
zusammenhält+frisch komponierte Musik+DarstellerInnen, die sich in Spiel
und Gesang schmeißen und als Grundkleister der Glaube, dass durch Theater
Gesellschaft verändert werden kann, das ist „Schroffenstein“, erzählt mir
mein Kopf, während ich ich immer wieder neu begeistert bin von der
Körperkomik von Emir Tebatebai.
In der U-Bahn habe ich eine Idee für die 3sat-MacherInnen: ein Themenabend
„Stück der Stunde“ mit „Troja“ und „Die Waffen der Frau Carrar/Würg…
Blei“, eingeladen zum Theatertreffen. Inszenierungen, die den Punkt
treffen, aufrütteln und mich nicht loslassen.
20 May 2025
## AUTOREN
Katja Kollmann
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