# taz.de -- das wird: „Eine Person hat eine Vision – und zieht die durch“ | |
> In der Bremer Schwankhalle gibt's ein Festival für Alleingänge | |
Interview Benno Schirrmeister | |
taz: Was verstehen Sie unter einem Solo, Frau Becker? | |
Anna K. Becker: Gute Frage! Die Idee, ein Solo-Festival zu machen, hatte | |
ich schon lange, und bei Gesprächen im Vorfeld zeigte sich, dass das für | |
viele gleichbedeutend war mit einer Beschränkung auf Tanz, also Szenen, in | |
denen ein einzelner Körper ohne großes Bühnenbild den Raum einnimmt. Aber | |
mir ging es gar nicht in erster Linie um tanzende Körper oder darum, dass | |
es besonders kompakt ist. | |
taz: Sie lassen beim Solo-Festival in der Schwankhalle ja sogar das | |
Straßentauben-Kollektiv auftreten – obwohl sie zu dritt sind? | |
Becker: Die bilden tatsächlich eine Art Ausnahme im Programm: Ich habe mich | |
dafür entschieden, weil die drei Personen sind, die über dasselbe Thema | |
sprechen können, auch aus einer Betroffenheit heraus, und dabei | |
gleichzeitig auf der Bühne nicht als drei Individuen dastehen wollen. Was | |
sie machen, das ist ein Monolog für drei Körper. Aber um das zu erklären | |
muss ich noch einmal einen Schritt zurückgehen. | |
taz: Und zwar? | |
Becker: Die zweite klassische Vorstellung von Solo, der ich begegnet bin, | |
war die des Textsolos – des Monologs: Auch da war mir klar, das ist nicht | |
das, worum es mir geht. Denn da stehen dann meistens Schauspieler*innen | |
auf der Bühne, die in der Regie einer anderen Person einen Text einer | |
weiteren Person sprechen. Für mich war dagegen entscheidend, dass die | |
Personen, die da auf der Bühne stehen, auch diejenigen sind, auf deren Mist | |
das Ganze gewachsen ist, egal ob es ein körperbetontes Tanz-Solo oder eine | |
stärker texthaltige Performance ist: Eine Person hat eine Vision – und | |
zieht die durch. Darum geht’s. Sie ist immer zahlenmäßig unterlegen, sie | |
steht gleichsam in einer Arena von ganz vielen anderen, es gibt keine | |
Kolleg*innen, keinen Dialog, keine Absprachen – sondern nur Einer gegen | |
alle. Oder mit allen. | |
taz: Reagiert das Festival damit auch auf die messbare Vereinzelung, die | |
unsere Gesellschaft prägt? | |
Becker: Auf jeden Fall. Diese Vereinzelung in der Selbstoptimierungswelt, | |
in der eben auch sehr viel von dem, was in der Macht des Kollektivs läge, | |
auf einzelne Personen abgewälzt wird, das macht es für mich wichtig, nach | |
einer Form wie dem Solo zu fragen. In einer Zeit, die davon bestimmt ist, | |
dass alles gekürzt und verknappt wird, Geld und Ressourcen, kann das Solo | |
Ausdruck der dadurch erzeugten Konkurrenzen sein. Die werden ja geschürt | |
durch Shows und Fernsehsendungen, bei denen es immer darum geht, wer ist | |
der beste. Irgendjemand muss es schaffen, und ist dann die Heldin, der | |
Held, und wenn ich es schaffe, schaffst du es jedenfalls schon mal nicht. | |
Der Alleingang muss klappen und er funktioniert immer nur über Ausschlüsse. | |
taz: Aber das entspricht nicht der Idee der Soli des Festivals? | |
Becker: Nein. Denn das Solo kann Verbundenheit gerade im Auftritt der | |
Einzel-Person schaffen. Wir alle sind extrem miteinander verbunden und sind | |
voneinander abhängig. Und diese Abhängigkeit ist, so gesehen, nichts | |
Schlechtes, sondern etwas Schönes. Aber im Moment müssen wir uns das | |
irgendwie wiederholen, um zu sehen, für wen wir uns zuständig fühlen, wer | |
für uns zuständig ist, und wer als einzelner eben nicht nur für sich selbst | |
spricht, sondern in seinem Sprechen auch die Ähnlichkeit mit den anderen | |
herstellt, eine Gemeinschaft. | |
taz: Das Solo ist traditionell eng mit der Figur des Virtuosen verbunden, | |
der zum Kult ums soziopathische Genie gehört: Spielt das bei den | |
Performances in der Schwankhalle eine Rolle? | |
Becker: Ich glaube, dass die Arbeiten da sehr unterschiedlich drauf Bezug | |
nehmen – auch wenn es einen weitgehenden Konsens darüber geben dürfte, dass | |
wir das Konzept vom Genie überholt haben: Da werden künstlerische | |
Strategien und persönliche Erfahrungen dagegen gesetzt. Aber gerade deshalb | |
ist es schön, dass beim Festival so viele unterschiedliche Positionen | |
gesehen und bequem miteinander verglichen und an den Sonntagen auch in den | |
kostenlosen Künstler*innengesprächen befragt werden können. | |
20 May 2025 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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