# taz.de -- vertanzt: Hamburg braucht eine neue Ballett-Chefin | |
Lustig ist es, sich noch mal die lobhudelnden Sätze zur Berufung von Demis | |
Volpi vor Augen zu führen, jetzt, nachdem ein Dreivierteljahr nach Start | |
seiner ersten Spielzeit alles brennt am Hamburger Staatsballett. | |
Hingeschmissen haben 5 von 11 Ersten Solist*innen, 36 der rund 60 | |
Ensemblemitglieder haben einen Brandbrief gegen ihren neuen Chef an dessen | |
Chef geschrieben, also an Kultursenator Carsten Brosda (SPD). Der scheint | |
noch an die Möglichkeit der Mediation zu glauben. Aber er hatte ja auch | |
2022 schon gewusst: Dieser Volpi, den der Theateraufsichtsrat zum | |
Nachfolger der Legende John Neumeier gewählt hatte, „verfügt über ein sehr | |
feines Gespür für die Möglichkeiten einer Compagnie und die Bedürfnisse der | |
Tänzerinnen und Tänzer“. Auch aus Düsseldorf war auch immer nur das Beste | |
über ihn zu hören gewesen. | |
Bis jetzt. Ein großer Teil der Compagnie der Deutschen Oper am Rhein hat | |
sich in der Hamburger Ballett-Krise mit der dortigen Compagnie | |
solidarisiert. Dem von 17 Tän-zer*innen unterzeichneten Schreiben | |
zufolge hat Volpi dort, an seiner ersten Leitungsstation überhaupt, binnen | |
vier Jahren „eine Atmosphäre der Angst und Unsicherheit“ etabliert. Weshalb | |
eine ganze Reihe Tänzer*innen vor Vertragsende ausgeschieden sei. Was | |
als ziemlich starkes Signal gewertet werden müsste. | |
Bloß haben weder Rheinische Postnoch WDR oder WAZdarüber berichtet, alle | |
haben sich immer über ihren strahlenden Ballett-Intendanten gefreut, auch | |
die Findungskommission, die in Hamburg von vornherein nur Volpi finden | |
wollte, für dessen sogar Neumeiers Ruhestand ein Jahr hinausgezögert worden | |
war, scheint keine Tuchfühlung mit den Tänz-er*innen im Rheinland | |
aufgenommen zu haben. Was zum Kernproblem führt: Die Auswahl der | |
Chef*innen ist in Deutschlands großen Kulturbetrieben Chefsache, genau | |
wie auch die Arbeit auf den Bühnen, gerade im Tanztheater, oft noch | |
geradezu grotesk hierarchisch organisiert ist: An der Fassade hängen | |
goldene Plakate, auf denen steht, man sei die vielen. Drinnen schreit der | |
Intendant. Oder halt der Choreograf. | |
Der durchaus autoritäre Betrieb des Profisports ist in dieser Frage viel | |
egalitärer. Denn wenn ein Chefcoach ein derartiges Zerwürfnis produzieren | |
würde wie Volpi in Hamburg, dann wäre er – ganz unabhängig von der | |
Schuldfrage – schon gestern kein Chef-Coach mehr gewesen. Schließlich gilt | |
es, das wertvolle Team bei Laune zu halten, von dem doch – wie beim Tanz | |
auch – alle Erfolge abhängen. Dem Ballett aber scheint noch etwas von | |
seinen Anfängen anzuhaften: In Deutschland hat es 1645 die französischen | |
Delegation eingeführt. Weil es der in Westfalen bei den | |
Friedensverhandlungen langweilig war, zwangen die Diplomaten ihre Lakaien | |
zu tanzen. | |
Besser wäre, wenn Kompagnien ihre Leitung selbst auswählen würden. Das | |
würde das Risiko einer Krise à la Hamburg verringern. Gegen die eigene | |
Wunschleitung wird nicht so schnell rebelliert. Vor allem würde es die | |
Kunst verbessern, von der behauptet wird, eine ihrer Qualitäten wäre ihr | |
utopischer Gehalt, und dass sie die Demokratie stärke. Dort, wo sie | |
autoritär strukturiert ist, erweist sich das als Lüge. Benno Schirrmeister | |
15 May 2025 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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