# taz.de -- Kolumne über Umweltkrise am Titicacasee: Müll, Müll, Müll | |
> Unsere Autorin hatte den Titicacasee an der Grenze zwischen Peru und | |
> Bolivien stets aus der Ferne romantisiert. Nun erlebt sie ihn als | |
> gigantische Müllhalde. Die Leute haben einfach andere Sorgen. | |
Bild: Ziemlicher Müll: Die Anlegestelle, um auf die Inseln der Urus zu gelangen | |
[1][taz FUTURZWEI] | Ich hatte mir den Titicacasee irgendwie anders | |
vorgestellt. Romantischer. Mit Booten aus Schilf, die uns durch das klare | |
Wasser tragen, dem – der Legende nach - einst die ersten Inkas entstiegen. | |
Weit gefehlt. Das Wasser ist alles andere als klar, im Schilf sammeln sich | |
Plastikflaschen und ein strenger Geruch, über den ich nicht weiter | |
nachdenken möchte, macht sich am Ufer breit. | |
Hier stehen wir nun und warten, dass wir abgeholt werden. Auf der | |
peruanischen Seite des Titicacasees, auf über 3800 Meter Höhe. [2][Seit ein | |
paar Wochen fahren Arsen und ich durch Lateinamerika,] mit dem Motorrad, | |
dem Bus, per Anhalter. Che Guevaras „Motorcycle Diaries“ im Gepäck. | |
Für diese Nacht haben uns eine Hütte auf einer der künstlichen Inseln auf | |
dem See gemietet, die von der indigenen Gruppe der Urus gebaut werden. Es | |
ist kalt, hinter uns hört man das Gebell der Straßenhunde. | |
## Die Müllsituation | |
Der Vermieter der Hütte holt uns nicht in einem traditionellen Schilfboot | |
ab, sondern mit dem Motorboot. „Das Wasser ist etwas kalt, um hier zu | |
schwimmen“, lacht er, während wir an einem Schwein vorbeifahren, das auf | |
einer der Inseln in Mülltüten wühlt. Ich lächle höflich zurück. Ich bin zu | |
müde, um ihn auf die Wasserqualität anzusprechen oder die Müllsituation. | |
Außerdem habe ich das Gefühl, dass ich dazu keine ehrliche Antwort von ihm | |
bekommen werde. Die Inseln aus Schilf sind – wie wir bald checken – | |
ausschließlich auf Touris ausgelegt (zu denen wir jetzt wohl auch | |
zählen...). Die wenigen noch lebenden Urus scheinen sich gegen ihre | |
Tradition entschieden zu haben, im Einklang mit der Natur zu leben, und | |
dafür, ihre Lebensgrundlage noch für die wenigen verbleibenden Jahre | |
komplett auszubeuten. Dass der umhertreibende Müll unübersehbar ist, | |
scheint niemanden zu stören. | |
## Das Problem mit der Notdurft | |
Uns wird die „Toilette“ auf der anderen Seite des Stegs gezeigt: ein Loch, | |
direkt über dem Wasser. „Hier werde ich sicher nicht kacken“, sagt Arsen | |
und schaut mich besorgt an. „Es ist vermutlich egal, ob hier oder in der | |
Stadt…“, sage ich, auch besorgt. Später lese ich tatsächlich, dass 2,5 | |
Kubikmeter ungefiltertes Abwasser pro Sekunde in den See fließen. | |
Das Abwassers kommt aus allen großen Städten um den See. Geld für | |
Kläranlagen sei zwar zur Verfügung gestellt worden, und laut einer | |
Investigativrecherche, die ich zum Einschlafen lese, auch ausgegeben | |
worden. Aber Anlagen gebe es immer noch kaum welche, und die wenigen, die | |
es gebe, sind nur zu Teilen in Betrieb, weil wiederum kein Geld mehr da sei | |
für mögliche Arbeiter. | |
Verschmutzt wird der See aber auch – so lese ich weiter – durch den Abfall, | |
der beim illegalen Bergbau entsteht. Hinzu kommt die Klimakrise, der | |
Wasserstand ist bedenklich niedrig. | |
Am meisten beschäftigen mich aber die Bewohner hier, die sehenden Auges | |
ihre Umwelt zu einer Müllhalde werden lassen. | |
## Deutsche Verhältnisse im Kopf | |
Ich liege noch lange wach und denke darüber nach, dass, obwohl mich die | |
Situation nicht ganz überrascht, die Lage hier vor Ort doch schockiert. Ich | |
weiß, auch in Europa sieht es nicht super aus, was Umweltverschmutzung | |
angeht, aber so nicht. | |
Ich denke an die Forderungen, die ich mit den Klimaaktivisten in | |
Deutschland auf Demos verteidigt habe: 1.5 Grad-Ziel, Tempolimit, | |
Solidarität mit dem Globalen Süden. Eine ordentliche Müllversorgung hat da | |
keine große Rolle gespielt. Dass man seinen Müll nicht irgendwo am | |
Straßenrand verbrennt und für funktionierende Kläranlagen gesorgt ist, ist | |
doch selbstverständlich. Oder? Das haben wir alle in der Schule gelernt. | |
Es muss doch irgendjemanden geben, der sich dafür einsetzt, dass der | |
Titicacasee nicht komplett zur Müllhalde wird? Junge Menschen vielleicht, | |
die in einigen Jahrzehnten immer noch hier leben möchten? Man wirft seinen | |
Müll doch nicht einfach vor die eigene Haustür, oder? | |
## Wer schützt den See? | |
Das frage ich auch Raquel Romero, die ich ein paar Tage später in der | |
bolivianischen Hauptstadt La Paz treffe. Sie ist Leiterin einer Stiftung, | |
die unter anderem zusammen mit jungen Leuten Projekte organisiert, um den | |
See zu schützen. | |
„Es gibt kein Bewusstsein für Müll“, sagt sie. „Die Kinder lernen von i… | |
Eltern: wirf den Müll einfach durchs Autofenster oder direkt auf die | |
Straße.“ Ich treffe sie in ihrem Büro, um unsere herum Regale voller Ordner | |
mit Förderungsanträgen. Die bürokratischen Hürden, um überhaupt ein Projekt | |
starten zu können, scheinen riesig zu sein, wie ich erfahre. | |
Auch der Großteil der Abwasser von El Alto, der Stadt oberhalb von La Paz, | |
fließe einfach in den See, sagt Raquel. „Einmal haben wir ein Netz an einem | |
Fluss gespannt, der in den See fließt. Nach wenigen Tagen hing da alles: | |
Plastik, medizinischer Müll, Tierkadaver, alles.“ | |
„Ja, aber stört das denn niemand?“, frage ich. | |
Raquel schüttelt fast schon resigniert den Kopf: „Die meisten Menschen sind | |
mit anderen Dingen beschäftigt. Arbeiten, essen, überleben…“ Als | |
Statussymbol gelte dann, wenn man sich zum Essen 2 Liter Cola-Flaschen | |
kaufen könne. Aus Plastik natürlich. „Und in der Politik wünschen sich die | |
Leute sichtbare Ergebnisse: eine Kläranlagen sieht man nicht, aber ein | |
neues Fußballfeld, das steigert die Beliebtheit.“ | |
Erst als ich mein Aufnahmegerät stoppe, schaut mich Raquel etwas | |
verzweifelt an und sagt – als hätte sie es sich in dieser Klarheit davor | |
nicht getraut: „Außerdem ist alles einfach unglaublich korrupt.“ | |
## Ein Fünkchen Hoffnung | |
Und erzählt mir dann doch von einem Projekt, dass ihr Hoffnung macht: Ein | |
Gruppe junger Menschen geht in El Alto an Schulen, um in den Mittelstufen | |
über das Müllproblem aufzuklären und dann mit den Jugendlichen PET-Flaschen | |
zu sammeln, bevor sie im See landen. Das Plastik bringt sogar Geld ein, es | |
gibt Recyclingunternehmen, die es kaufen, um daraus Plastikstühle oder | |
-karaffen herzustellen. Ein kleines Projekt, das Potential hat, einen | |
großen Impact zu generieren. | |
Die kulturelle Grundlage ist ja eigentlich da: Nachhaltigkeit, Leben im | |
Einklang mit der Natur, in Respekt vor der Göttin Pachamama, der Mutter | |
Erde, das war für die indigenen Völker in den Anden schon immer von großer | |
Bedeutung. Für Raquel ist es deswegen umso wichtiger, sich wieder auf diese | |
kulturellen Wurzeln zurückzubesinnen. | |
Doch: einfach ist das nicht. Es sind Faktoren wie Armut, Korruption, | |
fehlendes Bewusstsein, mangelnde Bildung und einer globalisierten | |
Wirtschaft, die vor Ort den Markt mit Müll überflutet, die diese indigenen | |
Werte nach und nach in Vergessenheit geraten lassen. | |
## Ein Anfang | |
Ich laufe noch eine Weile mit Arsen durch die Straßen von La Paz. An | |
unzähligen Straßenständen und Ramschläden vorbei, in denen billig | |
Massenware angeboten wird – hauptsächlich aus Nordamerika und Asien. An | |
einem Kiosk wollen wir uns was zu trinken holen. Es gibt nur Softdrinks aus | |
Plastikflaschen, und Wasser. Selbst das gehört zu Coca-Cola. | |
Im Park steht tatsächlich ein Sammelbehälter, in dem man seine PET-Flasche | |
werfen kann, damit diese recycelt wird. Ich zähle fünf leere Flaschen. Ein | |
Anfang. | |
🐾 „Stimme meiner Generation“ heißt die gemeinsame Online-Kolumne von Ar… | |
Bocks und Ruth Lang Fuentes. In loser Folge schreiben sie darin für unser | |
Magazin taz FUTURZWEI über die Lebensrealität der Gen Z und darüber hinaus. | |
🐾 Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe taz FUTURZWEI N°32 mit dem | |
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24 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Ruth Lang Fuentes | |
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