# taz.de -- Wohnungssuche als Vollzeitjob: FUCK IT! | |
> Ruth und ihr Freund schlafen seit Wochen auf Sofas von Bekannten, weil | |
> sie keine Wohnung finden. Zwischen Wut, Hoffnung und Verzweiflung wird | |
> die Suche zur Normalität. Eine Reportage aus unserem Magazin taz | |
> FUTURZWEI. | |
Bild: Die Krise der Wohnungssituation schreibt sich in den Stadttext ein, wie h… | |
[1][taz FUTURZWEI] | Also, wenn Sie mich fragen, ich würde hier nicht | |
wohnen wollen“, sagt der Mann in Engelbert-Strauss-Outfit, der mich gerade | |
durch die unmöblierte dunkle EG-Wohnung im Berliner Stadtteil | |
[2][Schöneberg] geführt hat. Er drückt mir ein Blatt Papier in die Hand, | |
auf dem „Bewerbungsformular“ steht, und fügt hinzu: „Aber das müssen Sie | |
schon selbst entscheiden. Wollen Sie noch den Garten sehen?“ | |
Er führt mich zu einem zwei Meter hohen grauen Sichtschutz aus Kunststoff | |
neben einem Parkplatz, öffnet eine Tür. Wir blicken beide auf eine | |
eingezäunte steinige Fläche von etwa 15 Quadratmeter, Reste von Unkraut und | |
einen weißen Gartenstuhl. Kurz sehe ich mich mit Arsen da sitzen, wir beide | |
crazy in love auf hässlichen Gartenstühlen in einer grauen Steinzelle? Es | |
schüttelt mich. Das Bewerbungsformular nehme ich trotzdem mit. | |
## Die verrückten Seiten der Wohnungssuche | |
Auf dem Heimweg versuche ich angestrengt die positiven Seiten dieser | |
Wohnung zu sehen. Da ist vor allem eine: Es ist eine Wohnung. Und Arsen und | |
ich sind ein Paar, das keine mehr hat. Gar keine mehr. Wir schlafen auf | |
Sofas von Freunden. Also bewerben? Heißt, all unsere persönlichen Daten von | |
Einkommensnachweisen über Bonitätsauskunft bis Angabe über Haustiere, | |
Musikinstrumente und so weiter an eine fremde Person schicken, die dann, | |
ohne uns je zu Gesicht zu bekommen, entscheidet. | |
Es gibt immerhin einen Herd in der Küche (das ist auch das Einzige, was da | |
drin steht, und ich habe irgendwie das Gefühl, dass der nicht | |
funktionstüchtig ist …). Und ein Bad. Und drei Zimmer für nur 1.200 Euro | |
warm. Nähe Nollendorfplatz. Und so schmutzig war das Treppenhaus ja auch | |
nicht, nicht so sehr wie bei der Wohnung am Neuköllner Hermannplatz vor | |
drei Tagen. Die wäre zwar günstiger, hat dafür aber keinen Boden. Arsen und | |
ich nennen sie liebevoll den „Rohbau“. | |
Die Wohnung heute ist sogar unbefristet zu haben, mit Hauptmietvertrag, das | |
ist der absolute Jackpot, rede ich mir weiter ein. Und es gibt nicht mal | |
einen Vermieter, der „an den Wochenenden manchmal in Berlin ist“ und dann | |
„im kleinen Zimmer übernachten möchte“. Die Chancen stehen super, | |
schließlich wurde ich zur Besichtigung eingeladen und das passiert auch nur | |
gefühlt bei jeder zwanzigsten Anfrage. | |
## Die Stimmen im Kopf | |
Fuck it. Ich zerknülle das Formular. Und höre schon meine Freunde, | |
Kollegen, Familie, meine Ärztin – ja all die Leute, die unsere | |
Wohnungssuche mit ihren Kommentaren begleiten: | |
„Man muss erstmal nehmen, was zu kriegen ist.“ | |
„Wenn man nicht flexibel ist, findet man gar nichts.“ | |
„Von da aus kann man ja dann auch weiter schauen.“ | |
„Schaut ihr auch weiter außerhalb?“ | |
„Habt ihr auch mal drüber nachgedacht, in eine andere Stadt zu ziehen?“ | |
„Bei uns hast du ja noch dein Kinderzimmer, da kannst du jederzeit | |
einziehen ...“ | |
Vor einigen – ich habe längst vergessen wie vielen – Wochen ist unser | |
Mietvertrag ausgelaufen. Zunächst schien das kein Problem zu sein, weil | |
unser Vermieter gesagt hatte, wir könnten die Wohnung danach fest | |
übernehmen. Doch dann fiel ihm ein, dass er selbst wieder einziehen wollte. | |
Wir haben natürlich in der kurzen Zeit nichts Neues gefunden. Seitdem | |
stehen unsere Kisten und wenigen Möbel in einen Selfstorage irgendwo am | |
Rande von Berlin. Und wir – fast – auf der Straße. | |
## Recherche ist unerlässlich | |
Auf der Seite der Stadt Berlin lese ich, dass es tolle Hilfe für uns als | |
wohnungslose Menschen gäbe. Lese vom sogenannten „geschützten | |
Marktsegment“, das Wohnungen für Menschen zur Verfügung stellt, „die | |
aufgrund von Mietschulden kurz vor der Räumung stehen oder bereits | |
wohnungslos sind und sich auf dem freien [3][Wohnungsmarkt] nicht selbst | |
mit Wohnraum versorgen können“. Sind wir das? | |
Es stehen auch Notunterkünfte für „besondere Bedarfsgruppen“ zur Verfügu… | |
wie das die Stadt Berlin nennt. Gehöre ich da dazu, weil ich – finanziell | |
unabhängig, berufstätig, mit abgeschlossenem Studium, keine Kinder, | |
deutscher Pass – keine bezahlbare Wohnung finde und mir kein Hotelzimmer | |
für mehrere Wochen leisten kann? | |
Mit dem neuen Wohnberechtigungsschein für mittlere Einkommen (WBS 220) | |
hätte ich tatsächlich Anspruch auf eine [4][Sozialwohnung], erfahre ich. | |
Laut Berliner Mieterverein seien mittlerweile knapp 60 Prozent aller | |
Berliner Haushalte berechtigt, eine solche anzumieten, allein der WBS 220 | |
betreffe rund 305.000 Haushalte. Doch: „Bitte beachten Sie, dass diese | |
Wohnungen erst noch gebaut werden“, heißt es bei der Stadt Berlin zum WBS | |
220. Super, danke. | |
Vielleicht hängen wir uns bei der Suche einfach nicht genug rein? Klar, der | |
Markt ist angespannt. Aber liegt es vielleicht doch an uns? | |
## Vorstellung und Realität | |
„Im 3. Quartal des Jahres 2024 lagen die Angebotsmieten für Wohnungen in | |
der Bundeshauptstadt bei durchschnittlich etwa 14,79 Euro pro Quadratmeter | |
und Monat“, lese ich bei Statista. 2012 seien es noch 6,65 Euro pro | |
Quadratmeter gewesen. 14,79 pro Quadratmeter. Das wären bei 60 Quadratmeter | |
etwa 888 Euro kalt. Solche Angebote finde ich selten, nicht mal, wenn ich | |
in Spandau suche. | |
Ich muss an die junge Frau denken, die ich zufällig bei einer Besichtigung | |
eines Neuköllner Altbaus getroffen hatte. „Mit mindestens 1.500 Euro für | |
zwei Zimmer muss man schon rechnen“, hatte sie mir beim Rauslaufen gesagt. | |
Dass uns für das Geld gerade eben nur ein Untermietvertrag angeboten worden | |
war, plus die Forderung, 4.000 Euro Kaution bar auf die Hand, schien sie | |
nicht weiter zu stören. | |
Der nächste Gedanke: Arbeite und verdiene ich etwa zu wenig? | |
Über hundert Wohnungsanfragen in den letzten Wochen hatten Arsen und ich | |
gemacht, vielleicht ein Fünftel hat uns geantwortet, auf höchstens zehn | |
Besichtigungen sind wir dann gegangen, fünf Mal beworben, null Zusagen. | |
## Immer unterwegs – ohne Zuhause | |
Auf dem Weg nach „Hause“ – also wohin? – nehme ich dann auch noch die | |
falsche U-Bahnlinie. Wir sind ja in Kreuzberg gerade, nicht im Wedding. | |
Passiert. Weiter geht’s: Ich scrolle auf dem Handy durch Inserate, | |
schreibe Wohnungen an. | |
Ich habe den Bewerbungstext schon so oft copy-pasted, ich lese ihn gar | |
nicht mehr. Ich haue ihn nur täglich raus, wenn ich eine Wohnungsanzeige | |
sehe, die uns einigermaßen anspricht. Und die nicht länger als 20 Minuten | |
online ist. Sonst ist eh alles zu spät. Ich stelle die Filter-Funktion | |
immer toleranter ein: bis zu 1.300 Euro warm, okay, 50 Quadratmeter zu | |
zweit, von mir aus. Viel kommt dabei dennoch nicht rüber. | |
Laut Wohnungsmarktbericht 2023 der Investitionsbank Berlin (ibb) soll | |
zwischen 2012 und 2022 die Anzahl der Inserate für möbliertes Wohnen auf | |
Zeit in Berlin von 9.602 auf 27.402 angestiegen sein – ein Plus von rund | |
185 Prozent. „Gleichzeitig nahmen die Inserate für reguläre Mietwohnungen | |
um rund 60 Prozent ab“, heißt es. | |
WG-gesucht. Immoscout. Kleinanzeigen. Immobilienmakler. Private Kontakte. | |
Irgendwo muss doch noch eine zu finden sein. | |
„Guten Tag, mein Freund und ich sind sehr interessiert an Ihrer Wohnung. | |
Wir leben schon länger in Berlin. Ich arbeite freiberuflich als | |
Journalistin, er ist seit 2018 fest als Gastronom angestellt. Unser | |
gemeinsames monatliches Nettoeinkommen beträgt etwa 3.500 Euro. Über eine | |
Rückmeldung und eine Einladung zu einer Wohnungsbesichtigung würden wir uns | |
sehr freuen. Unterlagen sind alle vorhanden. Haustiere haben wir keine! Mit | |
besten Grüßen“ | |
## Hoffnung und Enttäuschung | |
Manchmal, wenn uns die Wohnung besonders gefällt, schreiben wir dazu, dass | |
wir gerade wohnungslos sind. Oder wir schreiben 4.000 statt 3.500 Euro. | |
Oder, dass wir uns als besonders offene Menschen einschätzen. Manchmal | |
schicken wir sogar gleich Unterlagen mit. Irgendwo hatte ich gelesen, dass | |
die meisten Wohnungsinserate zwischen 13 und 15 Uhr online gehen. Ich | |
schaue trotzdem ständig nach, wer weiß, vielleicht kommt genau jetzt die | |
eine Wohnung rein. Jetzt um 19.43 Uhr. Jetzt um 19.52 Uhr. Jetzt um 20.01 | |
Uhr. | |
Arsen sitzt auf unserem Matratzenlager im Wohnzimmer eines befreundeten | |
Pärchens. Auf dem Boden liegen Klamotten und die Rucksäcke, mit denen wir | |
von Wohnung zu Wohnung ziehen. Meine Gitarre, die ich schon lange nicht | |
mehr gespielt habe, weil zwischen Arbeit und Schlaf eigentlich nur noch die | |
Wohnungssuche Platz hat. | |
„Schau mal“, sagt Arsen. „Wir haben eine Antwort bekommen.“ | |
Kurz empfinde ich sowas wie Hoffnung. Jede Antwort kann uns ein Stück | |
weiter bringen. Diese nicht. „Was für ein Arschloch“, sagt Arsen und zeigt | |
mir den Dialog auf kleinanzeigen. | |
- „hey danke für deine nachricht ich hoffe du hast die beschreibung | |
gelesen. Abstand wäre 8tsd Liebe Grüße“ | |
- „Und wofür genau? Auf den Bildern kann ich nichts erkennen.“ | |
- „Die wohnung steht leer. Das geld dient lediglich der vermittlung das sie | |
100% den vertrag bekom.“ | |
- „Das ist kein Abstand. Das nennt man Provision. Als Kapitalist sollte man | |
wenigstens sein Vokabular beherrschen.“ | |
Wir lachen. Dabei empfinde ich nur Wut. | |
Wut auf die Stadt, in der ich so gern lebe, aber aus der ich mich verdrängt | |
fühle. Die Stadt, die nicht auf ihre Bewohner eingeht, wenn diese | |
mehrheitlich für Vergesellschaftung stimmen. Wut, weil Wohnen so | |
existenziell ist, aber die Not von manchen Mietern und Immobilienbesitzern | |
wirklich schamlos ausgenutzt wird. Wut auf die zum Teil unverschämten | |
Anforderungen in den Wohnungsannoncen. Wut auf die nicht funktionierende | |
Mietpreisbremse. | |
Wut, weil ich nicht mehr Geld habe, um mir was zu kaufen. Und weil ich | |
auch nicht die einfache Lösung habe, aber auch nicht sehe, dass die Politik | |
irgendeinen Lösungsansatz ernsthaft verfolgt. Wut auf meine Ohnmacht. | |
Ich bin zwar auch schon 29, aber das zählt bei den Älteren ja immer noch | |
als „Kind“. Zugespitzt kann man sagen: Man kann als junger Mensch nur noch | |
nach Berlin (oder in jede größere deutsche Stadt) kommen, wenn man den | |
Lifestyle von seinen Eltern finanziert bekommt. | |
Und was meine Generation in Vergleich zu den vorangehenden Generationen | |
hier kaum mehr hat, sind Freiräume, leer stehende, günstige Orte, in denen | |
man sich ausprobieren, politisch austauschen und eventuell verwirklichen | |
kann, ohne viel Geld vorab investieren zu müssen. | |
Wir sitzen erschöpft da. Arsen scrollt sich weiter durch (teil-)möblierte | |
Wohnungen, Wohnungen „auf Zeit“ und viel zu teuren „charmanten | |
Altbauwohnungen im Szene-Viertel“. Ich aktualisiere zum zweiten Mal heute | |
unser Gesuch auf WG-gesucht: „Kreuzberger Pärchen sucht DRINGEND Wohnung ab | |
sofort!!!“ Die Anzeige soll möglichst weit oben bleiben. | |
## Wohnungssuche als Vollzeitjob | |
Einen einzigen Erfolg hat die Anzeige bislang gebracht: Ein | |
öffentlich-rechtlicher Lokalsender hatte im Rahmen eines Polittalks eine | |
kleine Reportage über unsere Wohnsituation gedreht. Eine Wohnung haben wir | |
darüber nicht gefunden, nur die Bestätigung, dass wir nicht die Einzigen in | |
der Situation sind. Die Wohnungsnot in Berlin erscheint wie ein kollektives | |
Trauma. Fast jeder, der in den letzten Jahren umziehen musste oder hierher | |
gezogen ist, hat eine prekäre Wohnsituation erlebt. | |
Auf dem Tisch liegt ein Zettel mit Telefonnummern, die wir noch „unbedingt“ | |
anrufen sollen: von Freunden von Freunden, die vielleicht was wissen, von | |
Hausverwaltungen, bei denen jemand gesehen haben soll, dass da „was leer | |
geworden ist“ … Aber jetzt ist es zu spät, zum Irgendwo-anrufen. | |
„Lass uns raus, ein Bier trinken“, sage ich. | |
Auf dem Weg zur Kneipe erwische ich mich, wie ich die Häuser scanne, um | |
herauszufinden, ob da Wohnungen leer stehen. Ich weiß mittlerweile von | |
einigen, vermietet werden sie dennoch nicht. Ich stelle mir manchmal vor, | |
wie wir einfach eine dieser Wohnungen besetzen. Vielleicht wird es wieder | |
Zeit in Berlin? | |
„Vielleicht sollten wir Lotto spielen“, schlägt Arsen vor. „Und wenn wir | |
dann sechs Richtige haben, kaufen wir uns einfach eine Wohnung.“ | |
In diesem Moment fühlt es sich an, als sei das die beste Chance, jemals an | |
eine Wohnung zu kommen. | |
■ Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins taz FUTURZWEI | |
N°32 mit dem Titelthema „Wozu Kinder“ gibt es jetzt [5][im taz Shop]. | |
15 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Ruth Lang Fuentes | |
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