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# taz.de -- berliner szenen: Hauptstadt-Lifestyle auf Zeit
Auf meine Mitteilung „Ich ziehe nach Berlin“ weiteten sich immer die Augen.
Bewunderung, Neid, Genervtheit? Ich fügte hinzu: „Für zwei Monate.“ Ein
erlösendes: „Ach sooo!“ Zwei Monate, gut zum Abwinken.
Angekommen in einer Holzbude mit Omatöpfen à la
Schweizer-Alpen-Ferienwohnung, spüre ich den Hauptstadt-Imperativ, diese zu
verlassen. Schnell werden Backshops zu Orientierungshilfen. An jeder
U-Bahn-Station versuchen Gebäck-Deals für 1,50 € die Ladennamen, die
Variationsmöglichkeiten des Wortes „Back“ ausschöpfen, wettzumachen. Ich
falle der Laugenstange zum Opfer, die tatsächlich stark nach „back“
aussieht. (War lecker.) Im Café muss ich den Laptop direkt wieder
einpacken: Hustle-Verbot am Wochenende. So habe ich mir den
Hauptstadt-Lifestyle nicht vorgestellt. Abends gehe ich in ein
Theaterstück, das politisch inkorrekt und gleichzeitig wahnsinnig woke ist.
Und funktioniert.
Der türkische Supermarkt um die Ecke wird zu „meinem Laden“, weil er
Biogemüse zu fraglichen und Pistazienschokolade ohne Präfix zu vernünftigen
Preisen verkauft. Die Verkäuferin ist wahnsinnig nett. Generell: Warum
lächeln alle und wünschen einen schönen Tag? Wo steckt die Berliner
Schnauze? Als mein Mitbewohner „Berlin ist ja nicht schön“ sagt, nicke ich.
Vielleicht habe ich das wahre Berlin noch nicht kennengelernt. Im
Fahrradwind zieht an mir eine Khinkali-Bar vorbei, auf Galerien folgen
Dönerläden und Handpulled Noodles. Der Menschheit gratuliere ich zu ihrer
Fähigkeit, sich über die Erdkugel hinweg bewegen zu können. Und bin
dankbar, mich im Gegensatz zu anderen frei dafür entscheiden zu können.
Bald bin ich schließlich wieder von hier weg – sicher werde ich dann aber
ein paar Zeiteinheiten mehr Sesshaftigkeit gut finden, um die Berliner
Schnauze zu finden. Yi Ling Pan
30 Apr 2025
## AUTOREN
Yi Ling Pan
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