# taz.de -- Autor Steffen Kopetzky auf dem taz lab: „Wir sind vom Jäger zur … | |
> Der Autor Steffen Kopetzky fordert mehr Respekt und Anerkennung für das | |
> Militär. Auf dem taz lab diskutiert er mit Ole Nymoen über | |
> Patchwork-Pazifismus und die Möglichkeit einer europäischen Armee. | |
Bild: Ein Kampfpanzer der Bundeswehr | |
taz lab: Herr Kopetzky, Sie sprechen von der Notwendigkeit einer | |
[1][europäischen Armee]. Wie könnte diese aussehen? | |
Steffen Kopetzky: Ein mögliches Modell wäre, dass jedes Land eine | |
nationale Armee hat und zum Schutz der Grenzen gäbe es einen gemeinsamen | |
militärischen Verband. Woher die Soldaten genau kommen, dafür habe ich noch | |
kein Modell. Aber es wäre klar, dass die Grenztruppen ein gewisses Prestige | |
haben müssten. | |
Aber irgendwoher müssen die Soldaten ja kommen. Plädieren Sie für eine | |
Wehrpflicht in Deutschland? | |
Ich plädiere für eine Dienstpflicht für alle, Männer, Frauen und Diverse. | |
Ein bestimmter Teil hat dies als Wehrpflicht zu erledigen, ein anderer im | |
Zivilschutz. Feuerwehren, Krankenhäuser, Technisches Hilfswerk, | |
Naturschutzbehörden. Die Aufgaben für einen stabilen Staat in einer akuten | |
Konfliktsituation sind unendlich. | |
Wie sieht das Verhältnis zur Bundeswehr in Deutschland aus? | |
Seit den neoliberalen Reformen der Neunziger- und Nullerjahre wurden die | |
Eisenbahn, die öffentliche Daseinsvorsorge, die Infrastruktur, die | |
Streitkräfte und andere essenzielle Bereiche staatlicher Aufgaben | |
systematisch vernachlässigt. Die Bundeswehr sollte im Ausland fragwürdige | |
interventionistische Einsätze unter Führung der USA durchführen, wie etwa | |
in Afghanistan, schien aber keine Bedeutung für unser Land selbst zu haben. | |
Erfahren Soldat*innen denn zu wenig Respekt und Wertschätzung | |
heutzutage? | |
Die Bundeswehr wurde in den letzten 20-30 Jahren als Sparbüchse | |
aufgestellt. Das zeigt die Geringschätzung auch von Seiten der Politik. Man | |
betrachtete die [2][Bundeswehr] als Überbleibsel, als überflüssig. | |
Strategisches Denken wurde aus dem öffentlichen Diskurs verbannt, ein | |
Fehler wie ich finde. Ich vermisse das in der öffentlichen Debatte – ein | |
Gespräch auch mal über unsere Chancen. | |
Verstehen Sie die Position Ole Nymoens, der laut eigener Aussage nie für | |
Deutschland in den Krieg ziehen würde? Der auch beängstigt ist? | |
Ich verstehe, dass er keine Waffe benutzen will, aber das muss er ja auch | |
nicht. Es gibt viele zivile Bereiche, in denen er sich nützlich machen | |
kann. Ansonsten vertritt er einen Patchwork-Pazifismus, der auf kurzen | |
Stelzen daherkommt. | |
Aber ist nicht eine starke nationalistische und militaristische Aufladung | |
in der momentanen Situation zu befürchten? | |
Um an den Roman Erich Maria Remarques anzulehnen, auf den Nymoen sich | |
auch an einer Stelle beruft: Wir befinden uns nicht im Kaiserreich am | |
Vorabend des Ersten Weltkriegs. Es geht ja gerade um eine gemeinsame | |
europäische Anstrengung. Und zu behaupten, Merz wolle Deutschland zur Faust | |
Europas machen, ist irgendwie sehr ahnungslos. | |
Inwiefern? | |
Aufrüstung dauert 15 Jahre. Alles, was wir heute tun können, ist uns zu | |
fragen: Wollen wir als Gesellschaft souverän bleiben oder nicht? Oder | |
wollen wir von anderen abhängig werden. Sind wir einig, oder werden wir | |
unseren Jägern zum Opfer fallen? | |
Nach der Kapitulation Hitler-Deutschlands bröckelte der Patriotismus. Kaum | |
jemand wäre mehr für eine Verteidigung Deutschlands bereit gewesen. Wie | |
lässt sich das denn wiederbeleben und mobilisieren? | |
Es ist wichtig, einen realistischen Blick auf unsere heutige Situation zu | |
werfen. Wir sind vom Jäger zur Beute geworden und in einer defensiven | |
Situation angekommen. Wir sind keine Großmacht mehr. Wir könnten derzeit | |
gar nichts und niemanden angreifen. Russland hingegen ist bereit, Krieg zu | |
führen, um seine Interessen durchzusetzen. Die Amerikaner sind vom | |
Beschützer zum Erpresser geworden. Wir brauchen dringend einen Sinneswandel | |
in der Beschreibung unserer Situation. Viel zu oft kommt bei Linken diese | |
Angst vor der Großmacht durch. Und ich denke: Wacht doch mal auf! Wir sind | |
weit davon entfernt! Wir sind keine Bedrohung, sondern die Bedrohten! | |
In dieser Beuterolle, wie Sie sie nennen: Ist da Gewalt die Lösung? | |
Eine Kapitulation würde ich mir jedenfalls nicht wünschen. Also haben wir | |
keine andere Wahl: Wir werden Gewalt anwenden, wenn uns jemand an den | |
Kragen will und uns mit allem wehren, was wir haben. Ohne schlechtes | |
Gewissen. Wir sollten uns bis an die Zähne bewaffnen. Das ist unbequem, | |
aber wenn wir dazu nicht bereit sind, werden wir Stück für Stück die | |
Kontrolle über unseren Kontinent verlieren. | |
Um Debatten wie die um Feminismus, Queerness oder Postkolonialismus führen | |
zu können, braucht es da wirklich einen militärischen Sicherheitsrahmen? | |
Ich finde diese Diskurse – neben anderen - durchaus berechtigt. Aber dafür, | |
dass auch sie stattfinden können, braucht es einen Rahmen. Wir sehen es in | |
den [3][USA,] dort werden diese Dinge von oben erodiert. Wörter werden | |
verboten, Transleute werden aus der Armee geworfen, das Andenken an | |
weibliche oder farbige Soldaten gelöscht. Die ganze Gesellschaft wird weiß | |
und männlich gemacht. Zuckerberg, der Kapitalist hinter Instagram, Facebook | |
und What‘s App, spricht von „maskuliner Energie“, die es jetzt brauche. | |
Diejenigen, die das auch bei uns wollen, sind im Aufwind. Unser | |
Gesellschaftsmodell ist zum globalen Feindbild geworden: die USA, Russland, | |
Saudi-Arabien sind sich da einig. Aber wie kann das eigentlich sein: ein | |
Bündnis dieser drei Staaten ist von deren Verfassung her eigentlich | |
ausgeschlossen. Die Hüter der Heiligen Stätten und dezidierte | |
alkoholtrinkende Schweinefleischkonsumenten – das geht doch gar nicht, | |
oder? Aber das ist der Punkt: Ich glaube, dass es in Wahrheit darum geht, | |
Europas Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu erhalten, das | |
Geschäftsmodell der letzten hundert Jahre. Die Europäische Einigung und die | |
Energiewende sollen rückgewickelt werden. Das globale fossile Kapital | |
möchte, dass alles so bleibt, wie es war. Die reaktionären Rollenbilder und | |
Gesellschaftsmodelle sind nur die Aufhänger. | |
Braucht es also mehr Bereitschaft dafür, unser Land zu verteidigen? | |
Manche Staatsformen in der Geschichte sind verschwunden, so kann es unserer | |
pluralistischen Demokratie und dem vereinten Europa auch gehen. Ich weiß, | |
das ist alles schwer zu ertragen oder nur zu begreifen, aber das, was in | |
Amerika passiert ist real, nach Innen ein Staatsstreich, nach Außen ein | |
Handelskrieg zur Durchsetzung eigener Interessen. Was Russland gleichzeitig | |
macht, ist echter Krieg, auch dieser zur Durchsetzung von politischen | |
Forderungen. Krieg ist wieder legitim, man muss halt nur gewinnen. Dann | |
wird Gewaltanwendung scheinbar belohnt – wie man an der Ukraine bitter | |
sehen kann. Das Schicksal der Ukraine könnte auch unseres sein. Dagegen | |
müssen wir uns stemmen. Noch haben wir die Kräfte dazu. | |
🐾 Steffen Kopetzky & Ole Nymoen diskutieren beim taz-Kongress 2025 die | |
[4][Grundfrage des Krieges]. Mit einem [5][tazlab-Ticket] können Sie live | |
dabei sein, egal ob von Zuhause aus oder vor Ort. | |
24 Apr 2025 | |
## LINKS | |
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[5] https://pretix.eu/tazlab/2025/ | |
## AUTOREN | |
Wilma Johannssen | |
Kim Tadday | |
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