# taz.de -- Stimme meiner Generation: Lasst mich rein! | |
> Unsere taz-FUTURZWEI-Kolumnistin Ruth Fuentes ist in Lateinamerika on the | |
> road. An der Grenze zwischen Peru und Bolivien wird sie zur Europäerin. | |
Bild: La Paz, Bolivien - gar nicht so einfach hier rein zu kommen | |
[1][taz FUTURZWEI |] Was den peruanischen Grenzverlauf angeht, muss ich | |
zugeben, dass mich der bis vor wenigen Tagen recht wenig interessiert hat. | |
Bis jetzt, wo mich ein uniformierter Mann am Grenzschalter böse anschaut. | |
So wie vermeintliche Autoritätspersonen eben schauen, wenn sie denken, dass | |
man ihnen nicht genug Respekt entgegenbringt. | |
„Denken Sie, Sie können einfach über die peruanische Grenze spotten? Sie | |
umgehen, wie es Ihnen beliebt?“, knurrt er. | |
Arsen und ich sind seit einigen Wochen in Lateinamerika unterwegs. Der | |
Plan: von Peru quer durch den Kontinent nach Buenos Aires zu reisen. Wie | |
Che Guevara damals. Oder so ähnlich. Im Moment hängen wir aber an der | |
Grenze zu Bolivien fest. Und zwar schon seit mehreren Stunden. Es ist | |
mittlerweile Mittag und die Sonne prallt auf uns herab. | |
Außerdem stinkt es, weil hier in Desaguadero ein Fluss voller Müll und | |
Abwasser in den Titicacasee mündet. Und entlang dieses Flusses verläuft | |
auch die streng bewachte Grenze. Hunderte von Menschen stehen in der | |
Schlange, um nach drei Stunden Wartezeit in dem engen, stickigen „Büro für | |
Migration“ (hoffentlich) ihren Stempel zu bekommen. So wie wir. | |
„Hat was vom Schlangestehen vorm Club, da weiß man auch nicht immer, ob man | |
reinkommt“, sage ich. | |
„Aber halt ohne den Spaß“, sagt Arsen. | |
## Das Problem | |
Unsere Rucksäcke stehen schon in La Paz in unserer Unterkunft, denn wir | |
sind auch schon in der bolivianischen Hauptstadt gewesen. Aber (ungewollt) | |
illegal eben. | |
Ich erzähle dem Grenzbeamten also zum dritten Mal, dass wir an einem | |
anderen Grenzübergang rüber gefahren seien, dass die Frau, die den | |
„bewacht“ hat, uns einfach habe passieren lassen. Dass ich aber nun extra | |
von La Paz an diesen offiziellen Grenzposten von Desaguadero zurück | |
gefahren bin, um mir den offiziellen bolivianischen Einreisestempel zu | |
holen. Und dass ich dafür aber zunächst noch einen peruanische | |
Ausreisestempel brauche. | |
Dass wir mit dem in Peru gekauften Motorrad rübergefahren sind und die | |
Grenzfrau dafür 10 Soles, also 3 Euro, von uns verlangt hat, verschweige | |
ich lieber… Ich weiß, dass wir mit Motorrad ganz sicher nicht durchgelassen | |
worden wären, aus Zollgründen. So jedenfalls die Vorschrift von oben. | |
Mein Grenzbeamter grummelt nur und muss sich mit seinem Kollegen | |
besprechen. Dieser erklärt gerade einem Vater mit Kind, dass dieses – weil | |
minderjährig – leider nur in Begleitung der Mutter die Grenze passieren | |
darf. Oder mit einem Wisch vom Notar, schwarze Schrift auf rotem Papier, | |
bitte. Der Vater nickt und geht wieder. Hinterfragt wird nichts. | |
## Grenz-Meditation | |
Ich versuche innerlich zu meditieren. Sie müssen uns durchlassen, sage ich | |
mir. Was wäre die Alternative? Ich muss einfach nur Geduld haben. Geduldig | |
atmen und warten. Es ist ja jetzt auch nicht das erste Mal, dass ich eine | |
Grenze außerhalb der EU passiere, aber meistens war das dann ganz | |
privilegiert am Flughafen und eben nicht zu Fuß irgendwo auf fast 4.000 | |
Meter Höhe. | |
Ich muss daran denken, wie mein Vater, wenn wir von Deutschland mit dem | |
Auto zur Familie meiner Mutter nach Spanien gefahren sind, immer erklärt | |
hat, wie einfach das jetzt sei: „Du kannst dir das als EU-Kind nicht | |
vorstellen, wie das damals war. An jeder Grenze gab es Kontrollen, musste | |
man Papiere vorzeigen, … Heute gibt's das ja nicht mehr…“ | |
„Na ja, vielleicht kommt’s ja wieder…“, antworte ich ihm gedanklich 20 | |
Jahre später. Und finde die Vorstellung, dass es in Europa auch so aussehen | |
könnte wie hier plötzlich so absurd, dass ich lachen muss. Der Grenzbeamte | |
schaut mich finster an, wahrscheinlich denkt er wieder, ich spotte über | |
„sein Land“. | |
Dabei will ich doch eigentlich nur raus aus diesem Land und weiterreisen. | |
Ich sage lieber nichts. Obwohl ich eigentlich so viele Fragen hätte. Vor | |
allem: warum? Warum macht man es der eigenen Bevölkerung so schwer? Warum | |
misstrauen die südamerikanischen Länder sich so sehr statt sich | |
zusammenzuschließen? Warum dieses autoritäre Gehabe? | |
Und warum gibt es dann gleichzeitig irgendwelche Grenzübergänge, an denen | |
eine alte Frau in traditioneller Andentracht sitzt und eine für wenig Geld | |
passieren lässt? Warum den legalen Handelsweg so erschweren, dass es die | |
illegalen nur fördert? | |
„So will es das Gesetz, wir erfüllen nur unsere Pflicht“, sagt er grimmige | |
Grenzbeamte als habe er meine Gedanken gehört. Und stempelt dann den Pass. | |
Endlich. | |
## Die letzte Hürde | |
Wir müssen uns dann aber gleich nochmal anstellen. Auf der bolivianischen | |
Seite diesmal. Wieder zwei Stunden in der Hitze warten. Wir kaufen uns für | |
ein paar Soles eine Flasche Wasser und ein paar Kekse von einem Kind, das | |
die Schlange entlangläuft und „Wasser, Kekse, Wasser,…“ ruft. | |
Dann sind wir endlich dran. Der bolivianische Grenzbeamte, der uns heute | |
Morgen erklärt hat, dass wir ohne peruanischen Ausreisestempel unter keinen | |
Umständen den bolivianischen Einreisestempel bekämen, schaut auf meinen | |
Pass. Dann schaut er mich völlig indifferent an: „Das ist der falsche | |
Stempel.“ „Ja, aber ihr Kollege meinte, damit komme ich durch…“ „Der | |
Peruaner ist nicht mein Kollege“, antwortet er nur und schickt uns zurück. | |
„Der hat absichtlich falsch gestempelt“, sage ich. „So ein Arschloch!“, | |
sagt Arsen. | |
Zurück zur Schlange vor dem peruanischen Migrationsbüro, die in der | |
Zwischenzeit keinen Meter kürzer geworden ist. | |
Ich atme tief durch – soweit das auf 4.000 Metern Höhe möglich ist. | |
Noch nie war mir so bewusst, wie in diesem Moment, welche Vorteile es hat, | |
als Kind der Europäischen Union durch Europa zu reisen. | |
🐾 „Stimme meiner Generation“ heißt die gemeinsame Online-Kolumne von Ar… | |
Bocks und Ruth Lang Fuentes. In loser Folge schreiben sie darin für unser | |
Magazin taz FUTURZWEI über die Lebensrealität der Gen Z und darüber hinaus. | |
🐾 Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe taz FUTURZWEI N°32 mit dem | |
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10 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Ruth Lang Fuentes | |
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