# taz.de -- USA zwischen Angst und Aufstand: Stadt der Depression | |
> Auf der Suche nach erfolgversprechendem Widerstand gegen den Trumpismus | |
> reist unser Autor von Pennsylvania bis in den Norden Kaliforniens. | |
Bild: Planloser Protest: Für zivilgesellschaftlichen Widerstand fehlen die Per… | |
[1][taz FUTURZWEI] | Westcoast Baby. Das wollte ich schon immer mal sagen, | |
und dieser Morgen eignet sich perfekt dafür. | |
Es riecht nach Kaffee, aus dem Küchenradio läuft Joan Baez. Und die | |
Klimaanlage röchelt durch das geriffelte Fenster über mir. | |
Ich halte mich gerade in den USA auf, um an einem College in Pennsylvania | |
Workshops im Kreativen Schreiben zu geben und fahre außerdem im Land herum, | |
um herauszufinden, wie die Leute hier auf die Veränderungen unter Trump | |
reagieren. An diesem Morgen bin ich im äußersten Norden Kaliforniens, | |
mitten in Crescent City, einer kleinen, flachgebäudigen Stadt am Pazifik, | |
in der es ein Lighthouse, jetzt im Frühjahr wohl viele Wale, Drogenabhänige | |
und lauter lonesome riders mit tollen Geschichten gibt. | |
## Brother against Sister | |
Ich wohne bei Betty, einer 79-jährigen Hippie-Rentnerin. An den Wänden | |
hängen Penisfiguren, und im Flur steht eine Schaufensterpuppe, in | |
Richard-Nixon-Wahlwerbung gekleidet. Während ich mir das seltsame Teil | |
ansehe, öffnet sich eine Zimmertür, aus der sich Betty mit einem Rollator | |
schiebt. Sie trägt eine regenbogenfarbene Brille in Herzform, graue Haare | |
und ein breites Lächeln. „Ja, das ist Ironie“, sagt sie Richtung | |
Nixon-Puppe und schüttelt belustigt den Kopf. „Meine Mutter war eine echte | |
Republikanerin, aber kurz bevor sie gestorben ist, hat sie noch Hillary | |
Clinton gewählt!“ | |
Betty kommt ursprünglich aus Ost-Ohio, und vor 20 Jahren nach Kalifornien | |
zu ziehen, war die beste Entscheidung ihres Lebens, sagt sie. Es ist nicht | |
schwer, hier mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, aber die für mich – als | |
neugierigen „alien allowed to work“ – so spannende politische Lage scheint | |
an vielen Orten ein Thema zu sein, das im Alltag gern gemieden wird, weil | |
es Probleme bringen kann. | |
„Das ist wie im Bürgerkrieg“, sagt Betty und erzählt, dass sie in Ohio ei… | |
Nichte und einen Neffen hat, die seit der ersten Wahl von Donald Trump im | |
Jahr 2016 nicht mehr miteinander sprechen. „Brother against Sister”. | |
## „Bist du legal hier?“ | |
In der letzten Kolumne wollte ich wissen, ob die Leute in den USA darüber | |
sprechen, wer was gewählt hat. In meinem Wohnort Easton, Pennsylvania, wird | |
das selten thematisiert. Das Konfliktpotenzial scheint zu groß, schließlich | |
liegt die Stadt im Northampton County, dem zur Wahl 2024 am meisten | |
umkämpfte Bezirk im Swingstate, den am Ende Trump knapp gewonnen hat. Und | |
was ist mit der knappen Hälfte, die Trump nicht wollte und will? | |
Während im Land vor allem Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez aktiv | |
auftreten, um gegen Trump zu mobilisieren, gab es sonst bei den | |
Demokratischen nur sehr dürftigen Widerstand. Punktuell kommt es im Land zu | |
Protesten. | |
Auch in meinem neuen Homestate Pennsylvania: | |
An dem Tag, an dem weltweit gegen Tesla protestiert wurde, treffe ich im | |
kleinen Städtchen namens „King of Prussia“ um die 200 Leute, die an einer | |
Schnellstraße mit Transparenten gegen Musk als Bedrohung für die Demokratie | |
protestieren. Einen Tag später versammeln sich wieder ungefähr 200 vor | |
allem 40 bis 70-jährige Leute, dazu ein paar 20-somethings, in meinem | |
Wohnort Easton, um gegen die Regierung zu protestieren. | |
Sie rufen einander dazu auf, weiterzumachen, mehr und lauter zu werden. | |
Irgendwann kommen auch drei Trump-Supporter, um zu stören. Eine um die | |
70-jährige Frau mit braun gefärbten Haaren, Softshell-Jacke und einem | |
„Raging Granny“-Schild gerät in einen Streit mit einer rothaarigen | |
Altersgenossin, die Jagd-Camouflage-Jacke und „Make America Great | |
Again“-Cap trägt. | |
Sie habe Sorge vor kriminellen immigrants und linksradikalen | |
Politiker:innen, die Raging Granny hat wiederum Angst um die Demokratie im | |
Land. Als ich mich vorstelle, packt sie mich am Arm und schreit ihr | |
Gegenüber an. „Und ihn?“, ruft sie aufgebracht. “Würdest du ihn auch | |
deporten?“ | |
„Bist du legal hier?“, fragt mich die Rothaarige streng. „Äh, ja“, ant… | |
ich und sehe, wie ihr Gesicht aufhellt. „Na, dann hast du doch nichts zu | |
befürchten!“ | |
Um uns herum hält eine Demonstrantin ein bemaltes Transparent, auf dem | |
„Hope over Fear“ steht, gegen ein blau-rotes „TRUMP/VANCE“-Schild. | |
## Widerstand – aber wie? | |
Zurück nach Kalifornien: | |
„Ziviler Ungehorsam ist das Wichtigste, was wir in der derzeitigen Lage | |
gerade haben“, sagt Betty und stützt sich an ihrem Rollator ab. | |
„Gleichzeitig braucht es jemandem, der das Ganze anführt.“ Ich sehe sie an, | |
und sie winkt entschlossen ab. „No, no … ich bin zu alt für so etwas!“, | |
sagt sie. Als sie jung war, habe sie gegen den Vietnamkrieg protestiert, | |
erklärt sie und empfiehlt mir eine kastenförmige Betonbar, in der ich noch | |
mit anderen Leuten sprechen kann. | |
Die Tische in der Bar sind leer. Am Tresen sitzen acht Männer und eine Frau | |
um den Barkeeper verteilt. Als ich mich dazusetze, denke ich über das | |
Gespräch mit Betty nach. Gerade scheint der meiste Druck auf der | |
Zivilgesellschaft zu liegen, die die Verfassung und Demokratie verteidigen | |
muss. Zeitgleich schürt die Regierung auch sehr gezielt Verunsicherung und | |
macht den Leuten Angst, sich zu organisieren. Etwa indem sie einigen | |
Colleges androht, Fördermittel zu streichen, wenn die nicht die von der | |
Trump-Regierung veränderte Policy zum „Kampf gegen Wokeness” übernehmen. | |
Kurz bevor ich nach Kalifornien gekommen bin, habe ich in Oregon in einem | |
Esoterikladen zwischen Tarotkarten und Energiesteinen eine Hardcoverversion | |
der US-Constitution gesehen. „Die habe ich dahin gestellt, weil unser | |
Präsident die Verfassung von der Website des Weißen Hauses genommen hat”, | |
sagte mir die Verkäuferin. | |
Man könnte sagen: Die Leute scheinen bereit zum Protest gegen den | |
Trumpismus zu sein, aber dem Protest fehlt es bisher bisher an neuem Denken | |
und neuen Methoden, um dagegen anzukommen, dass dem liberal-demokratischen | |
Fortschritt mit Geld, Macht und Gewalt zunehmend Grenzen gesetzt werden. | |
Eine Rednerin bei dem Protest in Easton hat die Leute aufgefordert, teach | |
ins zu veranstalten, um die Leute aufzuklären. In Pennsylvania haben mir | |
viele gesagt, dass sie zunächst zeigen wollen, dass es überhaupt Widerstand | |
in den USA gibt. Aber was kann dieser Protest gegen die Macht der Regierung | |
und der regierungsfreundlichen Medien und Richter im Land bewirken? Braucht | |
es, wie Betty sagt, zivilen Ungehorsam, um gegen die Radikalität der | |
Regierung anzukommen? Es muss doch irgendetwas passieren, denke ich, | |
während ich in Crescent City, Kalifornien, am Tresen sitze. | |
## Die Stadt der Depression | |
Ein um die 40 Jahre alter Typ mit Basecap und glasigen Augen setzt sich zu | |
mir und reicht mir ein Bier. | |
„Weißt du, Junge, ich nenne diese Stadt die Stadt der Depression“, sagt er, | |
als er mit mir anstößt. „Kommst du von hier?“, frage ich. „Nee, ich bin | |
Fischer.“ | |
„Also fährst du morgen raus?“ | |
“Nee, muss arbeiten.” | |
Viel weiter geht das Gespräch nicht. Und irgendwie passt dieser Dialog zu | |
dem, was Betty mir gesagt hat. „Gerade ist es so, als würde jemand dein | |
Haus angezündet haben, aber auch das Haus deines Nachbarn brennt und das | |
Haus daneben.“ | |
Das Gefährlichste an der Angst ist vermutlich das Misstrauen gegeneinander, | |
der Rückzug ins Private und schließlich die Lähmung, denke ich, als ich | |
mein Glas Bier austrinke. Als ich zahlen will, hat der Fischer das schon | |
für mich erledigt. Ich nehme das als gutes Zeichen. | |
🐾 „Stimme meiner Generation“ heißt die gemeinsame Online-Kolumne von Ar… | |
Bocks und Ruth Lang Fuentes. In loser Folge schreiben sie darin für unser | |
Magazin taz FUTURZWEI über die Lebensrealität der Gen Z und darüber hinaus. | |
🐾 Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe taz FUTURZWEI N°32 mit dem | |
Titelthema „Wozu Kinder“ gibt es jetzt im taz Shop. | |
3 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Aron Boks | |
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