# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Stephanie Grimm: Sich einlullen lassen i… | |
Der Wochenauftakt gestaltete sich zäh, zu viel Schleim im Kopf. Mittwoch | |
geht es langsam aufwärts. Ich überlege, ob mich William Basinksi ins Silent | |
Green locken kann. Kurze Beratung mit M. Der sagt: „Basinski ist super, | |
aber ganz schön langweilig“. Für meinem Zustand genau das Richtige! Ein | |
bisschen zu Ambientklängeln lümmeln. Aber Pustekuchen. Chillen ist ja eh | |
nicht so angesagt in der Betonhalle. Doch so rappelvoll habe ich den Raum | |
selten erlebt. Basinski lockt ja nicht mit im engeren Sinne mitreißender | |
Musik. Doch auch wenn der New Yorker, mittlerweile in L.A. zu Hause, seine | |
minimalistischen Sounds langsam morphen lässt, tritt er auf wie ein Popstar | |
– und wird entsprechend gefeiert. Sein Publikum bitcht er camp an: „Please | |
sit down, there is absolutely nothing to see here.“ Stimmt nicht ganz, der | |
Mann, der mit Sounds berühmt wurde, die er sich auflösenden Tapes abrang, | |
die vor langer Zeit mit Dudel-Muzak bespielt wurden, hat sichtlich Mühe in | |
sein Styling investiert. | |
Heute präsentiert er sein Album „On Time Out of Time“, was noch schwebender | |
klingt als die epischen „Disintegration Loops“. Mittlerweile sitzen alle | |
brav auf dem Boden wie angeordnet. Manch eine:n macht diese tröstliche | |
Musik aber offenbar doch unruhig. Ihre Versuche, sich rauszuschleichen, | |
sind vergnüglich zu beobachten. Aus meiner Ecke des Raums gibt es | |
tatsächlich wenig zu sehen, außer rot-grün flackernde Visuals und dicht an | |
dicht ein Meer von andächtig geneigten Köpfen. Wie ein animierter | |
Scherenschnitt versucht hin und wieder jemand unter starken Verrenkungen | |
sich aufzurichten – bemüht, dem Nebensitzer nicht auf die Finger zu treten. | |
In Verbindung mit dem Sound sieht das nach Schlangenbeschwörung aus. Gerade | |
als ich schön eingelullt bin von diesem Schauspiel, gibt es wieder Schimpfe | |
von Basinski. Eigentlich wollte er ja nicht zum Sound umfallender Flaschen | |
musizieren, beschwert er sich, schließlich werden die Shows aufgezeichnet. | |
Ebenfalls vieles akribisch dokumentiert hat die Künstlerin Käthe Kruse, | |
Teil der Band Die Tödliche Doris und damit auch der Berliner „Genialen | |
Dilletanten“-Bubble. Deren Werkschau „Jetzt ist alles gut“ (echt jetzt | |
mal?) in der Berlinischen Galerie zeigt ihr Faible für Ordnungssysteme – | |
wobei deren Regeln bisweilen irrelevant sind. Ich bin eher zufällig hier | |
gelandet, auf dem Weg ins Kino. Manches Exponat springt mich sofort an, | |
etwa über das Thema Verkehr aus unterschiedlichsten Perspektiven: | |
Deutschland, Bhutan und den USA. Blicke aus der Hochbahn in Chicago, ein | |
unterbeschäftigter Verkehrpolizist in Thimphu, auf der Tonspur ein | |
Spaziergang der Künstlerin über den Kottbusser Damm. Vieles in der Schau | |
scheint allerdings arg selbstreferentiell. | |
Als wunderbares Antidot dazu erweist sich der Dokumentarfilm „Ernest Cole: | |
Lost and Found“. Der südafrikanische Fotograf musste nach der | |
Veröffentlichung seines Fotobands „House of Bondage“ über den Alltag im | |
Apartheid-Regime ins Exil und starb 1990 unter prekären Umständen in New | |
York. Über ein gutes Vierteljahrhundert später tauchten 60.000 Negative in | |
einem schwedischen Banksafe auf. Nach dieser soghaften Collage steht erst | |
mal niemand auf. Warum sollte man auch raus in diese Welt? | |
Der Osterspaziergang am nächsten Tag wird trotzdem ziemlich perfekt. Ein | |
Frühlingstag wie gemalt – durch einen lauschigen Wald und die Rieselfelder | |
bei Gatow, kaum andere Menschen. Öfter mal bemühen wir die | |
Vogel-Erkennungs-App. Danach gibt’s lecker Berliner Weiße und Anbaden in | |
der überraschend wohltemperierten Havel. | |
22 Apr 2025 | |
## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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