# taz.de -- Machtgewinn mit einem Schuss Pathos | |
> Zum Kirchentag stellt das Landesmuseum Hannover mit „FrauenBilder“ alte | |
> Meister den Fotos Julia Krahns gegenüber. Die wirft einen neuen, nicht | |
> voyeuristischen Blick auf antike mythologische „Heldinnen“ | |
Bild: Wie eine antike römische Statue: „Betti“ mit blutigem Etwas in der H… | |
Von Bettina Maria Brosowsky | |
„Mutig – stark – beherzt“: So lautet das Motto des 39. Deutschen | |
Evangelischen Kirchentages, der von 30. April bis zum 4. Mai in Hannover | |
stattfinden wird. Natürlich gibt es dazu ein Kulturprogramm vor Ort, etwa | |
die Ausstellung „FrauenBilder“, die das Landesmuseum Hannover konzipiert | |
hat. Das Haus griff dazu auf eine gute Bekannte zurück: die in Mailand | |
lebende deutsche Fotokünstlerin Julia Krahn. Sie hatte bereits zum | |
Jahreswechsel 2015/16 an der Ausstellung „Madonna. Frau – Mutter – | |
Kultfigur“ teilgenommen und erhielt nun freie Hand, um Werke aus der | |
Sammlung auszuwählen, denen sie eigene Fotografien und Arbeiten | |
entgegenstellt. | |
Julia Krahn ist sattelfest in der Kunstgeschichte und vor allem in der | |
christlichen Ikonografie, passt also perfekt zum klerikalen Anlass. Ihrer | |
auch kuratorisch ordnenden Hand ist eine räumliche Inszenierung | |
entsprungen: ein dichtes Arrangement von 14 Gemälden und Grafiken sowie | |
zwei Plastiken aus der Sammlung und 43 Fotografien und Objekten der | |
Künstlerin. | |
Eindrucksvoll geht es los: Der stattlichen, bronzenen Eva von August Rodin, | |
die noch ganz in ihrer Scham der Erbsünde gefangen ist, stellt Krahn ihre | |
fotografische Interpretation gegenüber, ein Selbstporträt in Großformat. | |
Eva scheint, schlammgrau, gerade Mutter Erde entsprungen. Der Apfel der | |
Erkenntnis kullert zu ihren Füßen, und die verführerische Schlange mutiert | |
zu niedlicher Spielzeuggröße. Selbstbewusst ist Krahns Eva, sie schämt sich | |
weder ihrer Nacktheit noch unterwirft sie sich gottesfürchtig jedweder | |
Strafe. | |
Aber nicht alle Frauen Krahns sind von solch ostentativer Stärke. Da wäre | |
„Mutter“: Die Nackte hält in ihren Armen, behutsam in ein Tuch gehüllt, | |
nichts als die Leere. Verlust, Trauer oder auch nur das Altern sind weitere | |
existenzielle Themen, die Krahn in ihren Fotografien bildgewaltig und hoch | |
ästhetisch in Szene setzt. | |
Die „Mutter“ eröffnet ein Tableau unterschiedlicher Urgewalten christlicher | |
Auslegungsmöglichkeit. Da wäre die Kraft des aufbrausenden Meeres, als „Die | |
Woge“ 1911 von Karl Hagemeister in spätimpressionistischer Weise gemalt. | |
Wasser symbolisiert den Zustand vor der Schöpfung, ist der Grund allen | |
Seins und die Quelle des Lebens. Aber Wasser steht auch für eine große | |
zerstörerische Gewalt, die Sintflut, die alles Leben auslöschen kann. Im | |
weitesten Sinne wurde auch die badende Susanna ein Opfer des Wassers, | |
nämlich eines nicht nur voyeuristischen Übergriffs zweier alter Männer, als | |
sie Erfrischung suchte im kühlen Nass. | |
## Blutrünstige Spur | |
Dieses biblische Thema griff Lovis Corinth 1923 auf. Seine Susanna stellt | |
sich allerdings mutig den Tätern, während sie dem Betrachter ihren nackten | |
Rücken zuwendet. Eine ambivalente Figur also, der Krahn eine blutrünstige | |
Spur weiblicher Selbstermächtigung folgen lässt. Die Schüssel mit dem | |
Haupt Johannes des Täufers, ein Sandsteinrelief aus dem 16. Jahrhundert, | |
verweist auf die christlich-mythologische Frauengestalt Salome, die sich | |
einst den Kopf des Propheten liefern ließ. | |
Die schöne Witwe Judith hingegen legte selbst Hand an, betörte und | |
enthauptete anschließend den assyrischen Tyrannen Holofernes, um ihr | |
israelitisches Volk zu retten. In Krahns Fotoinszenierung tötet sie sich | |
nun selbst. Der Untertitel „Penitenza“, also Strafe, Buße oder Reue, | |
gewinnt der alttestamentarischen Heldin eine neue Deutung ab, ihrer Tat | |
eine zu sühnende Schuld. Und leitet über in die Vanitas, die | |
jüdisch-christliche Vorstellung von der Vergänglichkeit alles Irdischen. | |
Auch dafür findet Krahn ein fast barock pompöses Bildnis: Ihre Magdalena, | |
ähnlich der Judith auf goldenem Tuch arrangiert, schaut in den Spiegel – | |
und erblickt den Totenschädel. | |
## Freuden und Qualen | |
Viele Tage dauere die Arbeit an einer Fotografie, erzählt Julia Krahn. Wenn | |
sie fremde Menschen, in der Mehrzahl ja Frauen, ablichtet, wie in ihrer | |
Serie „33MM“, sei es immer ein langer Prozess, gegenseitiges Vertrauen zu | |
entwickeln. Dort erzählen ihre per Vornamen benannten Protagonist:innen | |
von überwundenen Krankheiten und ihrer mentalen Stärke, von den Freuden | |
oder auch Qualen der Mutterschaft und inszenieren sich in altmeisterlichen | |
Rollenbildern. Der eigenen Mutter widmet Krahn noch eine Archivarbeit, | |
zeigt sie in Familienfotos an der Schwelle zur jungen Frau, der die Puppen | |
aus Kindertagen nicht mehr viel zu geben vermögen. | |
Das alles kommt mit einem gehörigen Schuss Pathos daher, manch reserviertem | |
Geist mag auch der Verdacht des Kitsches aufstoßen. Ganz neu ist zudem | |
solch dialogisches Format nicht, auch nicht für das Haus. Vor zwei Jahren | |
hatten Landes- und Sprengel-Museum den britischen Künstler Glenn Brown | |
aufgefordert, sich beider Sammlungen anzunehmen, sie temporär durch rund 50 | |
eigene Malereien zu erweitern, um so Beziehungen zwischen historischer und | |
zeitgenössischer Kunst zu reflektieren. Auch Brown bediente sich gekonnt | |
kunsthistorischer Referenzen – und wurde zum Garanten für reges | |
Publikumsinteresse. | |
10 Apr 2025 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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