# taz.de -- Einübung in die Diktatur, die kommt | |
> Uraufführung in Göttingen: Die Spielfreude des Deutschen | |
> Theater-Ensembles rettet das Lehrstück „Die ersten hundert Tage“. Der | |
> Text ist arg konstruiert | |
Bild: Mariann Yar hält als Investigativ-Journalistin Roya den Glauben an den W… | |
Von Jens Fischer | |
Toll! Die mit ihren langen Planungs- und Produktionszeiten hadernden | |
Theater können auch brandheiße Aktualität auf die Bühne holen. In Ungarn | |
und Italien regieren Rechtspopulisten, von den USA ganz zu schweigen, in | |
den Niederlanden regieren sie mit, in Österreich und Deutschland drohte | |
gerade ein ähnliches Szenario. Und schon bringt das Deutsche Theater | |
Göttingen ein Stück zur Uraufführung, in dem „Die ersten hundert Tage“ | |
einer AfD-Regierung in der Bundesrepublik resümiert werden. | |
Möglich wurde das aber nicht mithilfe eines Schnellschreibdramatikers und | |
fixer Spielplanänderung, sondern [1][dank Antizipation des Autors Lars | |
Werner]. Er formulierte und komponierte den dystopischen Text bereits vor | |
mehr als einem Jahr, um die möglichen Folgen der rechten Machtübernahme an | |
einer Clique irgendwie Linker zu verhandeln. An der Universität waren sie | |
noch durch diverse Liebesbeziehungen miteinander verbandelt. Jetzt werden | |
die Risse im Miteinander zu Bruchkanten ihrer moralischen Ansprüche, | |
politischen Überzeugungen und Lebensentwürfe. | |
Regisseurin Ebru Tartıcı Borchers ließ sich wie schon für ihre „Antigone�… | |
[2][am Staatstheater Oldenburg] einen abweisend kalt-kantigen | |
Versammlungsplatz als Diskursort bauen. Nicht schön, funktioniert aber als | |
offener Raum für gegensätzliche Positionierungen. Geht es doch um Haltungen | |
– wie bei der Machtübernahme der Nazis. Ist äußere oder innere Emigration | |
eine Widerstandsform und inwieweit Anpassung zu rechtfertigen? Silvio | |
(Christoph Türkay) blieb in AfD-Deutschland, drei Freund:innen fühlten | |
sich verloren in einem Land rechter Radikalisierung und gingen nach | |
Tschechien ins Exil. Jetzt kommen alle auf Silvios Einladung in der | |
Gastro-Ecke einer Tankstelle zusammen. | |
In ihre prompt startenden Streitereien eingeflochten sind Aussagen, welche | |
Angstszenarien der Anti-rechts-Protestler und welche Forderungen aus dem | |
AfD-Wahlprogramm bereits realisiert sind. Von Hetzjagden und Bürgerwehren | |
geht die Rede. Theater, Bibliotheken, „queerfreundliche“ Clubs und | |
Geflüchtetenheime seien geschlossen, Mutterschafts-Prämien würden für nicht | |
migrantische Kinder gezahlt, Waffengesetze gelockert, Rundfunkbeiträge und | |
Erbschaftssteuer gestrichen. Es gelte Visafreiheit für Russen, Demoverbot | |
für alle, Lehrverbot für ausländische Profs und so weiter. In Marins Kopf | |
blitzt all das zusammen mit Erinnerungen an die Geschichte der Clique auf. | |
„Du kannst immer auf etwas neues Grauenhaftes warten. Das ist ja das Tolle | |
an der Panik“, beschreibt Marin (Moritz Schulze) das Zeitgeistgefühl. Er | |
ist ein überforderter Beobachter, möchte gern auf der richtigen Seite | |
stehen, war daher immer Mitläufer, nie Aktivist der linken Szene. Roya | |
(Mariann Yar) hingegen ist Investigativ-Journalistin, lebt jetzt vom | |
Kellnern, bloggt aber weiter über Verbindungen der AfD zu Putins | |
Machtkaste. | |
Und Gender-Forscherin Lou (Yve Grieser) ist raus aus Deutschland, weil | |
diese Studiengänge abgeschafft wurden. Die drei begrüßen Silvio mit: „Wie | |
bequem lebt es sich im Faschismus?“ Er will „den Ball flach halten“, habe | |
sich doch nur etwas mit dem Regime arrangiert für seinen Traum von Familie | |
und einem gut dotierten Job. Die Exposition des Personals dauert. Spannung | |
erzeugt der Autor mit Anspielungen, dass Silvio die Clique bereits auf | |
seiner Hochzeit irritierend angeblafft habe. Es folgen Konkretisierungen, | |
die zeigen, dass er politisch auf der anderen Seite steht. „Ihr seid nicht | |
sauber, nur weil ich ein bisschen dreckiger bin“, versucht Silvio sich | |
rauszureden, gibt aber zu, für ein rechtes Hetzblatt zu arbeiten, sodass | |
seine linke Vergangenheit nicht öffentlich werden dürfe. | |
Daher bittet er seine Ex-Freund:innen, ihn bei entsprechenden Verhören zu | |
verleugnen. Marin flüchtet. Den anderen beiden bietet Silvio eine | |
Gegenleistung an. Roya würde nicht verhaftet, wenn sie nach Deutschland | |
einreise und ihre totkranke Mutter besuche. Lou dürfe sich auch in | |
Deutschland um trans* Jugendliche kümmern. Schmutzige Deals für das Gute? | |
Die beiden nehmen an. Das wird auffliegen: Wenn Rechte mit Linken | |
kollaborieren, wird das beiden auf die Füße fallen. Wer mag, [3][kann das | |
eine hoffnungsvolle Zukunftsaussicht nennen]. | |
Als Theaterstück ist das arg konstruiert. Das Horrorszenario AfD-Regierung | |
dient nur als Setzung, um biografische [4][Ausformulierungen studentisch | |
linker Überzeugungen] zu präsentieren und die Erosion von Freundschaft zu | |
beleuchten. Aber schnörkellos ist das inszeniert. Und die zu Typen | |
formatierten Figuren füllt das energiegeladene Ensemble mit prallem Leben, | |
sodass die Kontroversen doch noch die nötige Dringlichkeit erhalten. | |
20 Mar 2025 | |
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[3] https://www.lr-online.de/nachrichten/kultur/theater-in-cottbus-mit-lars-wer… | |
[4] https://www.udk-berlin.de/startseite/news/lars-werner-erhaelt-kleist-foerde… | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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