# taz.de -- die sache ist: Kulturgeschichte auf Pappe | |
> Erfunden, um unschöne Pfützen zu vermeiden, ist der Bierdeckel zum | |
> ikonischen Objekt der Alltagskultur geworden. Eine Ausstellung im | |
> Horst-Janssen-Haus zeigt, was der Künstler auch darauf gezeichnet hat | |
Bild: Foto: Shouplade/Pixabay | |
An einem lauen Sommerabend im Jahr 1880 erfindet Friedrich Horn in einer | |
deutschen Druckerei den Bierdeckel aus Pappe. Eine simple Idee, um die | |
Tische in den Wirtshäusern vor unschönen Bierpfützen zu retten. Doch daraus | |
wird schnell mehr. Bald sind die Pappstücke nicht nur praktische Helfer, | |
sondern auch Aushängeschilder der Brauereien, verziert mit Logos, Sprüchen | |
und Designs, die von der Welt erzählen, aus der sie stammen. | |
Denn Bierdeckel können eine ganze Menge über Kultur verraten. Sie spiegeln | |
die Vorlieben und den Humor einer Region wider: Ein bayerischer Deckel mit | |
Brezen-Motiv ist Welten entfernt von einem norddeutschen mit einem | |
trockenen Spruch über Fisch und Wind. Bierdeckel zeigen, wie sich Geschmack | |
und Gesellschaft wandeln: Frühere Exemplare haben verschnörkelte Schriften, | |
moderne kommen oft minimalistisch oder ironisch daher. Manche haben | |
politische Anspielungen, andere feiern lokale Feste. | |
In Belgien zeigen sie oft mittelalterliche Motive oder die Vielfalt der | |
Trappistenbiere, ein Zeichen für die tiefe Verwurzelung des Brauens in der | |
klösterlichen Geschichte. In England prangen Pub-Namen und Wappen auf den | |
Deckeln, die zeigen, wie stolz man dort auf die Kneipen und deren Rolle als | |
soziale Treffpunkte ist. In Japan gibt es Bierdeckel mit Manga-Figuren. | |
Überall sind sie mehr als Untersetzer, das kleine Stück Pappe ist eine | |
kulturelle Bühne. | |
Auch in der Politik tauchen Bierdeckel auf – wie bei Friedrich Merz’ | |
berühmt-berüchtigten Bierdeckel-Steuerplan 2003 – ein Steuersystem so | |
übersichtlich, dass es auf einen Bierdeckel passt, als Symbol für | |
Einfachheit und pragmatische Lösungen – Kneipenrhetorik. | |
Für Sammler:innen sind Bierdeckel wie kleine Zeitreisende: Ein | |
verblichener Deckel aus einer untergegangenen Brauerei, ein rares | |
Künstlerstück – jedes erzählt seine Geschichte. Manche tauschen sie, andere | |
horten sie in Vitrinen, und ja, es gibt Exemplare, die einen ordentlichen | |
Batzen wert sind: Wegwerfobjekte, die einem flüchtigen Zweck dienen, aber | |
Jahrzehnte überdauern. | |
Diese Spannung zwischen Vergänglichkeit und Dauer hat auch Künstler wie | |
Horst Janssen angezogen. Der Mann hatte ein Auge fürs Alltägliche und griff | |
halt zum Bierdeckel, wenn beim Trinken die Inspiration kam. Mit schnellen | |
Strichen und einem Glas in Reichweite entstanden kleine Kunstwerke – ein | |
Gesicht, ein Detail. | |
Im Horst-Janssen-Museum in Oldenburg greift die Ausstellung „Kulinarische | |
Kunst“ das gerade auf. Da sieht man neben Bierdeckeln lauter | |
Alltagsgegenstände: Servietten mit feinen Zeichnungen, die Janssen bei | |
Tisch kritzelte. Dazu kommen Platzkarten, die er mit individuellen Skizzen | |
und Texten versah, um den Moment des Wartens auf das Essen zu füllen, mal | |
mit Landschaften, mal mit spontanen Ideen. | |
Die Ausstellung zeigt auch Alltagsgegenstände, die Janssens exzentrischen | |
Stil und seine Marotten widerspiegeln: vom Morgenkaffee über selbstgemachte | |
Apfel-Pfannkuchen bis zum Absacker in der Kneipe. Zu sehen sind auch | |
detaillierte Grafiken von Speisen – Fleisch, Fisch, Früchte –, die nicht | |
nur seinen Zeichenstrich, sondern auch seine Liebe zu Geselligkeit und | |
Lebenslust offenbaren. Robert Matthies | |
Ausstellung „Horst Janssen tischt auf“: bis 9. 6., Horst-Janssen-Museum | |
Oldenburg; www.horst-janssen-museum.de | |
20 Mar 2025 | |
## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
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