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# taz.de -- Hört auf das Kaninchen!
> Ein Bunker voller Geschichten – das Schauspiel Stuttgart bringt ein
> starkes Antikriegsstück der Ukrainerin Maryna Smilianets auf die Bühne
Von Björn Hayer
Nicht einmal ein Nuklearschlag wirft Patrick (Felix Jordan) und Marta
(Teresa Korfmacher) aus der Bahn. Ihre Karaokebar liegt ohnehin am
äußersten Rand der Zivilisation und man kann den Cocktails ja auch Jod
beigeben. Ähnliches gilt wenigstens anfangs auch für die Gäste des in Rot
gehaltenen Etablissements, zumal sie genug mit ihren persönlichen
Herausforderungen zu tun haben.
Nachdem sich etwa eine Tochter mit ihrem Vater versöhnt, trennt sich das
Pärchen Adam und Eva, um dann das symbolische Paradies durch den Notausgang
des Lokals zu verlassen. Währenddessen hoffen zwei betagte Menschen beim
Date auf ein spätes Beziehungsglück. Doch wie sich vor Ort herausstellt,
hält der Realitätscheck kaum den Versprechungen der Kontaktanzeige stand.
Wer bis dahin nicht begriffen hat, worum es in Maryna Smilianets am
[1][Schauspiel Stuttgart] uraufgeführtem Stück „Willkommen am Ende der
Welt“ geht, dem hilft schließlich ein Schauspieler in einem
überdimensionalen Kaninchenkostüm, das zugleich das tierische
Scheidungskind der zuvor zerbrechenden Partnerschaft darstellt, weiter:
Alle Figuren ringen mit der Einsamkeit, inklusive des langohrigen Nagers.
Längst überfällige Streicheleinheiten holt er sich beim Publikum und sorgt
wie so manch andere Slapstickeinlage des Abends für reichlich Komik.
Letztere scheint auch notwendig, da sie einen Umgang mit dem eigentlichen
Elefanten im Raum ermöglicht: dem Krieg.
Immer wieder werden die einzelnen Szenen vom sirrenden Luftschutzalarm
unterbrochen. Es flackern die Lichter, es dröhnen die Sirenen. Und auch
wenn Marta und Patrick gern Musical- und Tanzintermezzi zum Besten geben,
täuscht nichts über den gigantischen Schatten des drohenden Untergangs
hinweg. Ist eine normale Existenz unter diesen Umständen denkbar? Wie
überlebt man überhaupt inmitten des omnipräsenten Grauens?
Spätestens als sich die unterschiedlichen Protagonisten aufgrund eines
erneuten Warnsignals in der zum Bunker umfunktionierten Bar zusammenfinden
und sich darüber austauschen, was sie vor der nun denkbaren [2][Auslöschung
der Menschheit] bedauern, wird man des Erzählens als stabilisierender Kraft
gewahr. Sichtlich knüpft diese Idee damit an die Geschichten aus 1001 Nacht
an, in der ja bekanntlich Scheherazade dem Sultan jede Nacht von einem
Abenteuer berichten muss, um nicht getötet zu werden. Auf der Stuttgarter
Bühne erweitert man an diesem Abend den Kreis des Dialogs um das Publikum,
das durch direkte Ansprache unmittelbar mit in die Schicksalsgemeinschaft
hineingezogen wird.
Trotz aller Unterschiedlichkeiten der Insassen des Schutzraums – vom
Harte-Schale-weicher-Kern-Typ bis hin [3][zur ukrainischen
Dokumentarfilmerin, die beklemmend von den Folgen der russischen
Zerstörungswut berichtet] – verbindet sie am Ende doch innig ein Lied. Es
gehört zu den schönsten Momenten dieser gekonnt zwischen Komik und
Melancholie mäandernden Premiere, wenn das Ensemble gemeinsam Ben E. Kings
Gassenhauer „Stand by Me“ anstimmt. Hätte dies nicht ein guter Ausklang
sein können?
Für Regisseur Stas Zhyrkov mutete jene Variante vermutlich zu kitschig oder
naiv an. Darum wählt er eine Art Pietà zweier Frauen für den Schluss aus.
Während eine von beiden über die Verdorbenheit und Gewalt der humanen Natur
reflektiert und die andere in ihren Armen wiegt wie Mutter Maria ihren
Sohn, senkt sich die Decke immer tiefer. Ganz so, als würden die Figuren
lebendig begraben. Ein eindringliches, mahnendes Bild.
Es rundet ab, was sich nur schwer fassen lässt: den Krieg mit seinen
absurden und barbarischen Auswüchsen. Seine Gegenwart fängt diese
Inszenierung auf tragikomische Weise ein, mit Verve und unverbrüchlicher
Haltung.
24 Mar 2025
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## AUTOREN
Björn Hayer
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