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# taz.de -- orte des wissens: Engagement für die Genügsamkeit
> Die Evangelische Akademie der Nordkirche versteht sich als
> Diskursmaschine und begreift, dass sich das Interesse von der Religion zu
> Gesellschaftspolitik und (Erinnerungs-)Kultur verlagert
Das Geld war knapp. Deshalb schloss die evangelische Kirche Ende 2003 ihre
1945 gegründete Evangelische Akademie in Hamburg an der Esplanade. Doch
seit 2007 ist sie wieder auferstanden, allerdings ohne eigenes Tagungshaus
in der Hansestadt. Wie die Nordkirche, ein Verbund der evangelischen
Kirchen Schleswig-Holsteins, Hamburgs und Mecklenburg-Vorpommerns, bildet
auch ihre Evangelische Akademie ein Netzwerk von fünf Standorten in den
drei Bundesländern mit 21 Mitarbeitenden.
Jörg Herrmann (*1958) wurde mit dem Neustart 2007 Akademieleiter. „Die
damalige Schließung halte ich im Rückblick für einen Fehler“, sagt der
Theologe und Filmenthusiast, der über die „Sinnmaschine Kino“ promoviert
hat. Keine Frage: Die Evangelische Akademie der Nordkirche ähnelt einer
„Diskursmaschine“. Ihr Themenbogen umspannt die Fülle
stadtgesellschaftlicher Debatten, denn zu den Nachdenk-Formaten zählt die
Erinnerungskultur, zählen Diskussionen zur Schulreform, zur
Stadtentwicklung, aber auch zur ökologischen Transformation, zu sozialer
Ungleichheit und Demokratie.
Bei den öffentlichen Gesprächsangeboten über kontroverse Fragen der Zeit
mache die Kirchenleitung keine Vorgaben, erläutert Herrmann. „Wir sind
keine Verkündigungseinrichtung, sondern unser Job ist es, aus christlicher
Perspektive zur Humanisierung der Gesellschaft beizutragen. Diakonie ist ja
immer auch Engagement ohne Eigennutz, also das Gemeinwohl an erste Stelle
zu setzen, nicht das eigene Interesse. Deshalb gefällt mir der Begriff der
Gesellschaftsdiakonie als Beschreibung von Akademiearbeit.“
Konkret wird diese Gesellschaftsdiakonie, wenn es in Seminaren ums
„Loslassen und Gewinnen – Verzicht als Entscheidungsmacht“ geht oder um
„Unseren Müll für die Zukunft“. Den protestantischen Ansatz sieht Jörg
Herrmann in der Fastentradition und im Suffizienz-Gedanken. „Der Kirchentag
2013 in Hamburg hatte das Motto: „So viel du brauchst“. Heute, in Zeiten
der Klimakrise und der Postwachstumsdebatte, sollte man diese Überlegungen
stark machen. Unendliches Wachstum in einer endlichen Welt ist nicht
möglich!“
Dass sich die Kirche selbst vom Wachstum verabschieden muss, dass sie
weniger wichtig wird, merkt auch die Evangelische Akademie.
„Religionsthemen haben tendenziell weniger Zuspruch. Aber bei
gesellschaftspolitischen und kulturellen Themen haben wir sehr gute
Resonanz“, sagt er.
Kürzlich hat die Akademie ein Buch vorgelegt, „Der Raub“, von Herrmann zum
Ausklang seiner Akademie-Jahre initiiert. Es handelt vom
Nationalsozialismus und dem noblen Neuen Wall, wo einst fast 40 jüdisch
geführte Unternehmen ansässig waren, vorwiegend Bekleidungsgeschäfte (taz
berichtete). „Autor Cord Aschenbrenner erzählt in „Der Raub“ letztlich
Hamburger Mikrogeschichte. Es sind Schicksale, Familiengeschichten. In
dieser einen Straße Neuer Wall, auf der Bühne der Stadt, vollzog sich unter
aller Augen deren Enteignung und Vertreibung.“
„Der Raub“ porträtiert 13 Geschäfte und ihre Eigentümer, schildert deren
Entrechtung und Verfolgung. Zusätzlich soll eine Website bald alle
bekannten Arisierungsfälle am Neuen Wall vorstellen, ein Audiowalk die
Geschichte der einzelnen Geschäfte nachvollziehbar machen. Es liegt nun an
der Stadt, ob auch Tafeln im Straßenraum aufgestellt werden, sodass
Passanten mittels QR-Code etwas zur Geschichte des jeweiligen Ortes und den
Opfern erfahren können. Dieses erinnerungskulturelle Projekt zeigt das
überzeugende Profil der Evangelischen Akademie. Hoffentlich behauptet sie
sich angesichts der rückläufigen Mitgliederentwicklung der Kirche – wenn
das Geld wieder knapp wird. Frauke Hamann
14 Apr 2025
## AUTOREN
Frauke Hamann
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