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| > Die Künstlerin Yaşam Şaşmazer erforscht in der Galerie Zilberman die | |
| > menschliche Form als posthumane Hülle in ständiger Metamorphose | |
| Von Ingo Arend | |
| Eine auf dem Boden kauernde Figur, die weder Mann noch Frau zu sein | |
| scheint. Auf den ersten Blick wirkt die schlanke, fleischfarbene Gestalt | |
| [1][in der Charlottenburger Dependance der Istanbuler Galerie Zilberman] | |
| wie eine klassische Skulptur. Doch warum fehlt der Kopf unter den | |
| übereinandergeschlagenen Händen? | |
| An dem Œuvre der 1980 in Istanbul geborenen Künstlerin Yaşam Şaşmazer läs… | |
| sich ein Bewusstseinswandel ablesen. Bekannt wurde die Absolventin der | |
| Mimar Sinan Kunstuniversität in ihrer Heimat zunächst mit ihren | |
| lebensgroßen Holzskulpturen von Kindern und Heranwachsenden. Wenig später | |
| trat sie dann mit ihren „Doppelgänger“-Skulpturen in die Erwachsenenwelt | |
| ein. „Das Hauptthema meiner Skulpturen ist das Menschsein“, beschrieb sie | |
| vor zehn Jahren folgerichtig ihre Arbeit. In der Folge begann sie diesen | |
| Figuren ihre Gesichter zu nehmen. Statt individueller Züge zeigen sie oft | |
| nur ein hölzernes Rechteck. Wenn sie diese zusätzlich mit Moos besetzt, | |
| zielt sie auf die „Companion Species“-Idee der amerikanischen Feministin | |
| [2][Donna Haraway] von der Geschichte des Lebens als Kohabitation der | |
| Gattungen. | |
| Mehr und mehr streifte die Künstlerin dann die Hülle der menschlichen Form | |
| von ihren Skulpturen ab. Der vorläufige Höhepunkt dieses Prozesses ist in | |
| der jüngsten Ausstellung zu besichtigen: deformierte, wie Stoff gefaltete | |
| Rücken, kreisförmig geformte Oberkörper ohne Kopf und Arme, geöffnete | |
| Hüllen. In diesem markanten Formwandel steckt mehr als nur die Abkehr von | |
| der Tradition der Skulptur oder der Figuration. | |
| Şaşmazer will auf ein Verständnis des Lebendigen als Prozess hinaus: Körper | |
| entstehen und verändern sich, ihre Gestalt ist uneindeutig. Sie ähneln | |
| fragilen Gefäßen des Übergangs, sind Produkte einer ständigen Metamorphose, | |
| öffnen sich zu ihrer Umgebung. Der fehlende Kopf dieser biomorphen Formen | |
| ist gleichsam das metaphorische i-Tüpfelchen auf einer paradigmatischen | |
| Auflösung der klassischen Gestalt des Menschen. | |
| Dass sie ihre Skulpturen in einem weiteren Raum in einem weiß lackierten | |
| Industrieregal neben Moos, Steinen oder verdorrten Baumästen präsentiert, | |
| legt symbolisch offen, dass auch Kunstwerke nur aus Material gemacht sind. | |
| Sie demonstriert die Idee von Körper und Natur als Erscheinungsformen | |
| desselben Kreislaufs. | |
| Das Echo des Posthumanen, das in Şaşmazers Arbeiten nachhallt, ist nicht | |
| als bewusste Verabschiedung des Menschen misszuverstehen. Eher arbeitet sie | |
| an dessen Relativierung im Zeitalter des Anthropozäns, in dem er sich tief | |
| in die Erde eingeschrieben hat. Subtil, formbewusst und mit einem sanft | |
| poetisch anverwandelten Gefühl ethischer Verantwortung verflüssigt die | |
| Künstlerin das Phantasma des starren Körpers. Ganz so, wie es der römische | |
| Dichter Lukrez mit der Formel „So flow the tide of things“ in seinem | |
| Gedicht „Re rerum natura“ beschreibt, der der Ausstellung den Titel gegeben | |
| hat. | |
| Yaşam Şaşmazer: „So flows the tide of things“. Zilberman Galerie, Di.–… | |
| 11-18 Uhr, bis 4. Mai | |
| 10 Mar 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ingo Arend | |
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