Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sophie Fichtner Vorschlaghammer: Eine vorgeschaltete App soll dafü…
Mein Zeigefinger wandert ziellos über den Handybildschirm, was wollte ich
nochmal, dann tippe ich auf das pink-orangene Quadrat in der vierten Reihe.
Als wäre ein kleiner Magnet in meiner Fingerkuppe verpflanzt, der jedes Mal
auf [1][Instagram] klickt, wenn ich die Orientierung zwischen den Apps
verliere.
Ich scrolle von Techniktipps fürs Kraulen zu einem Rezept für den
saftigsten Zitronenmohnkuchen, eine Freundin schickt mir ein Meme: „Ich hab
einen neuen Fahrrad-Witz … aber den Fahrrad ich dir nicht.“ Ich mag
Flachwitze etwas zu gerne und muss grinsen.
Nach zehn Minuten schrecke ich auf, mir fällt ein, dass ich eigentlich die
Miete überweisen wollte und ich suche nach der Banking-App.
Dann, neulich beim Mittagessen, flucht eine Kollegin, als sie mir etwas bei
Instagram zeigen will. „Einmal tief durchatmen“ steht auf dem Display, der
blaue Hintergrund füllt sich langsam. Sie hat die App One Sec installiert,
die beim Öffnen von Instagram anspringt und einen fragt, ob man sich
wirklich in die Fotofluten stürzen will. Stattdessen soll man lieber
entspannt einatmen und Instagram im besten Fall direkt wieder schließen.
Genau das brauche ich, also lade ich das appgewordene Stoppschild runter.
Die Macher der App geben an, dass sich der Social-Media-Konsum durch den
zwischengeschalteten Blocker langfristig um 57 Prozent reduziere.
Untersucht haben sie das in [2][einer Studie] mit der Universität in
Heidelberg und dem Max-Planck-Institut, und über 700 Teilnehmer:innen.
Funktionieren soll das Ganze, weil die App uns das Bedürfnis nach einem
kurzfristigen Dopaminkick abtrainiere. Denn wenn wir Instagram, Tiktok,
Youtube öffnen, seien wir für einen Moment glücklicher, weil unser Hirn
Dopamin ausschüttet. Dieses Gefühl merken wir uns und klicken immer wieder,
wie mein Magnetfinger, auf diese Apps. Die Atempause soll den sofortigen
Dopaminrush ausbremsen, sodass wir das Öffnen von Instagram nicht mehr mit
Glück verknüpfen. Klingt logisch, aber kann das wirklich so einfach sein?
Wenn ich jetzt Instagram aufmache, wird mir nach der Atemübung angezeigt,
wie oft ich in den letzten 24 Stunden versucht habe, die App zu öffnen.
Acht Mal, zuletzt vor einer Stunde. In weiß leuchtet ein dicker Balken:
„Ich möchte Instagram nicht öffnen“, schüchtern darunter steht: „weite…
worauf ich klicke – ab in den Höllenschlund.
Aber als nächstes werde ich gefragt, warum genau ich die App jetzt brauche.
Wegen Langeweile, zum Informationen suchen, Nachrichten schreiben, Crush
stalken? Ich bin genervt und will doch nur ein bisschen scrollen. Die
[3][Atemübung] entspannt mich nicht, sondern weckt zunehmend Aggressionen.
Ich springe gerne zwischen Apps hin und her. Insta, Strava, Insta, Maps,
Mail, Insta – und jedes Mal soll ich atmen. Genervt schließe ich Instagram,
dann halt nicht.
Innerhalb einer Woche habe ich 55 Mal versucht, Instagram zu öffnen, 9 Mal
hat One Sec mich daran gehindert, wodurch ich angeblich 27 Minuten gespart
habe. Eigentlich wollte ich ja genau das, seltener sinnlos durch anderer
Leute Leben scrollen. Aber es fühlt sich weniger nach Triumph an als nach
Spaßpolizei. Du hast das Stoppschild in den letzten 24 Stunden schon acht
Mal übergegangen, muss das nochmal sein?
Vielleicht kann die App mich wenigstens vor der nächsten kulinarischen
Enttäuschung bewahren. Der Zitronenkuchen war wirklich weit von saftig
entfernt.
Sophie Fichtner, 28, ist Redakteurin der wochentaz. Jeden Monat erhält sie
einen Rat fürs bessere Leben und testet: Ist das Fortschritt oder Bullshit?
1 Mar 2025
## LINKS
[1] /!6057080&SuchRahmen=Print
[2] https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.2213114120#sec-7
[3] /!5694367&SuchRahmen=Print
## AUTOREN
Sophie Fichtner
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.