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# taz.de -- „Es ist eine Gruppe, die eine Faszination ausübt“
> Michael Meisheit liest in Dithmarschen aus seinem Roman „Koogland“: In
> dem gründen Bauern an der Westküste einen autoritären Gegenstaat. Fast
> wie Reichsbürger*innen
Bild: Die Neulandhalle, ein Raum fürs rechte Volk. Hier liest Michael Meisheit…
Interview Jonas Kähler
taz: Herr Meisheit, ist die Story Ihres Romans „Koogland“ frei erfunden?
Michael Meisheit: Die Idee basiert auf verschiedenen realen Ereignissen.
Zum einen haben wir Naturkatastrophen wie an der Ahr, die vieles auf den
Kopf stellen. Dass kann zu großen Veränderungen führen, zu sehr viel Frust
und Problemen, Krisen, aus dem was Neues entstehen kann.
taz: Und zum anderen?
Meisheit: Wir haben schon seit einigen Jahren Reichsbürger*innen und
andere, manchmal sektenartige, manchmal mehr politische Gruppen, die sagen:
Wir akzeptieren die Bundesrepublik Deutschland nicht.
taz: … so wie die Bäuer*innen in Ihrem Roman. Die aber einen Schritt
weiter gehen.
Meisheit: Aus dieser Gemengelage ist der Gedanke für den Roman entstanden,
dass wenn einige Faktoren zusammenkommen, auch mal jemand versuchen könnte,
wirklich seinen eigenen Staat zu gründen.
taz: Glauben Sie, dass derartige Bestrebungen wahrscheinlicher werden?
Meisheit: Ich denke schon, wenn auch nicht unbedingt in dieser Variante.
Wir sehen gerade, dass es mit demokratischen Mitteln innerhalb
existierender Staaten passiert, wie etwa bei der US-Wahl. Was dort gerade
passiert, fühlt sich an wie ein Staatsstreich. Offensichtlich braucht man
sich gar nicht mal zu separieren. Aber auch das wäre ein denkbares
Szenario, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
taz: Eben genau so wie in dem Dithmarschen Ihres Romans?
Meisheit: In diese Region passt es sehr gut. Zum einen wegen der räumlichen
Bedingungen. Die Köge, so nah am Meer, böten tatsächlich die Möglichkeit,
ein Stück Land abzutrennen. Die Gegend hatte ich deswegen ausgesucht. Aber
es existieren auch historische Vorbilder, das fand ich ganz irre. Ich habe
mich dann mit der Region und den Dithmarscher Bäuer*innen beschäftigt und
die waren vor 500 Jahren ja schon einmal auf einem ähnlichen Trip.
taz: Sie spielen auf die Bauernrepublik Dithmarschen im 16. Jahrhundert an,
die gegen den dänischen König kämpfte. Versprühen die
Dithmarscher*innen für Sie auch heute noch aufständischen Geist?
Meisheit: Die Leute, mit denen ich vor Ort gesprochen habe, habe ich als
freundlich und offen erlebt. Und ich war in der heißen Corona-Phase zur
Recherche dort, also unter schwierigen Bedingungen, um mit Menschen ins
Gespräch zu kommen. Die Leute haben mir gesagt: „Ja, das passt von der
Mentalität schon zu einigen Leuten hier.“ Aber die Personen, mit denen ich
geredet habe, zu denen passte es nicht. Ich bin wirklich sehr warm
aufgenommen worden.
taz: Eine Ihrer Hauptfiguren, Lara, kommt aus Berlin und will eigentlich
ihre Schwester aus dem Bauernstaat befreien – dem sie sich dann doch
anschließt. Welche Anziehungskraft geht von so einer Bewegung aus?
Meisheit: Es ist eine Gruppe, die auch eine Faszination ausübt, das war mir
wichtig, und die im Deichhauptmann Thies Coordes einen erst mal positiv
erzählten Anführer hat. Einen, der es gut meint, und der sagt: „Ich kenne
die Gegend und die Leute: Wir können uns selbst versorgen.“ Und jeder
spielt hier eine Rolle. Das ist es dann auch für Lara, die als
Krankenschwester in der Großstadt lebt und da auf der einen Seite glücklich
ist, aber auch eine gewisse Leere spürt. In Koogland bemerkt sie den Reiz
des Ganzen.
taz: Ein zentraler Ort in „Koogland“ ist der heutige Dieksanderkoog. Vor
knapp 100 Jahren hieß dieser Adolf-Hitler-Koog. Die Nazis wollten dort eine
Volksgemeinschaft im Kleinen errichten.
Meisheit: Man hatte sozusagen die Erzählung vom Volk ohne Raum und dann war
es eine der Maßnahmen zu sagen: Wir holen uns hier nochmal ein bisschen
Raum dazu – und zwar nicht nur im Osten, sondern wir trotzen noch Land vom
Meer ab. So ist dann der Adolf-Hitler-Koog entstanden. Auf den wurde die
Neulandhalle gebaut, ein Mittelpunkt für die dortige Gemeinschaft. Dort
gibt es noch Fresken an der Wand, die zeigen, wie Menschen dem Meer das
Land abtrotzen.
taz: Sehen Sie Parallelen zwischen der damaligen Zeit und heutigen
Entwicklungen?
Meisheit: Ganz ehrlich, wenn ich mir die aktuelle Situation in den USA
angucke, sehe ich da schon erschreckende Parallelen. Man hat teilweise das
Gefühl, dass Trump nach dem Vorbild des „Dritten Reichs“ agiert. Natürlich
ist vieles anders, aber die Ausschaltung der Demokratie mit ihren eigenen
Mitteln, das ist eine erschreckende Parallele. Der Roman war für mich auch
ein Gedankenspiel: Was würde aus einer Gemeinschaft werden, wenn sie sagt,
wir machen hier unsere eigenen Regeln, sehr autoritär. Ich denke, dass das
nie gut gehen kann und zwangsläufig in Gewalt endet.
27 Feb 2025
## AUTOREN
Jonas Kähler
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