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# taz.de -- Ganz schöne Schoiße
> Das inklusive Hamburger Klabauter Theater spielt Alfred Jarrys „König
> Ubu“ mit Inbrunst. Vorm Hintergrund des Trumpismus wirkt die absurde
> Farce über die Mechanismen von Macht und deren Missbrauch plötzlich
> bedrückend aktuell
Bild: Spaß am gemeinen Spiel: Mère Ubu (Sabrina Fries), König Ubu (Lars Piet…
Von Robert Matthies
Feist sitzt der habgierige, gefräßige, feige und machtbesessene Tyrann auf
dem Thron, den er gerade erst nach einem Staatsstreich erklommen hat. Um
ihn herum tobt ein lauter Tumult aus Lakaien, Generälen und anderen
Opportunist:innen, die um seine Gunst buhlen. Die Staatsgeschäfte
interessieren den neuen König wenig, stattdessen ist er mit seinen eigenen
Interessen beschäftigt. Er erhebt auf alles abstruse Steuern und treibt
sie gleich brutal selbst sein. Er schafft sich den alten Adel vom Hals und
zieht in den Krieg. Und immerzu schimpft und brüllt er vulgär fluchend
herum: „SCHOISSE!“
Nein, dieser groteske Tyrann ist nicht Donald Trump, der gerade erst auf
dem offiziellen X-Account des Weißen Hauses ein Bild von sich gepostet hat:
breit grinsend, gekrönt, mit der Unterschrift „Long live the King“. Aber
den US-Präsidenten und seine Oligarchen-Bros nicht immer vor den Augen zu
haben, das geht ja gar nicht, wenn das inklusive Hamburger Klabauter
Theater jetzt Alfred Jarrys „König Ubu“ spielt, in einer Zeit, in der die
Realität die wilde Farce aus dem vorletzten Jahrhundert an Absurdität noch
zu übertrumpfen scheint.
Um die Gier nach Macht, um die Dummheit und Gemeinheit der Mächtigen und um
die Absurdität des Krieges geht es in „Ubu Roi“, ganz ohne moralische
Botschaft und Zeigefinger. 1896 wurde das anarchische Stück des
französischen Dramatikers uraufgeführt und sorgte gleich für einen Skandal:
zu obszön, zu absurd, ein Frontalangriff auf alle Theaterkonventionen.
Figuren ohne Tiefgang, pure Aktion statt Motivation, Hinweisschilder statt
Kulissen, Fäkalsprache statt Pathos. Das erste Wort: „merdre“ – auf Deut…
„Schreiße“ oder eben „Schoiße“.
Empörte im Publikum warfen damals Sitze auf die Bühne und ballten in den
Logen die Fäuste, schrieb ein Rezensent. Aber Jarry nahm damit vorweg, was
das absurde Theater bei Samuel Beckett oder Eugène Ionesco
ausbuchstabierte: das konventionelle Theater radikal zu zersetzen und die
Absurdität des Lebens ins Zentrum zu rücken.
Die Handlung gibt im „König Ubu“ für das absurde Treiben nur den Rahmen u…
ist schnell erzählt: Der feige Offizier Père Ubu wird von seiner
machthungrigen Frau, Mère Ubu, dazu angestiftet, den polnischen König zu
ermorden und den Thron an sich zu reißen. Nach dem Putsch entpuppt sich Ubu
als grausamer und inkompetenter Tyrann, der seine Untertanen ausbeutet und
das Land ins Chaos stürzt. Am Ende wird er selbst gestürzt und flieht mit
seiner Beute.
Am Klabauter Theater hat Regisseurin Laura Wehling das Stück in sechs
Wochen auf der Grundlage einer stark gekürzten und sprachlich vereinfachten
Textfassung gemeinsam mit dem Ensemble erarbeitet. Die Sprache und das
Wilde von „König Ubu“ passten gut zum inklusiven Theater, in dem derzeit 13
Schauspieler:innen mit Behinderungen hauptberuflich arbeiten, erzählt
Wehling. „Im Text liegt eine Freiheit, ihn so zu nehmen, wie man ist und
wie man will.“ Gerade die Eindimensionalität der Figuren lasse die Menschen
hinter ihnen sichtbar werden, sagt sie. Im Vordergrund stehe die Freude am
Experiment und am Spiel mit der Absurdität.
Diese Freude ist im Theater am Berliner Tor deutlich zu spüren. Lars
Pietzko gibt den König Ubu im Rollstuhl mit Inbrunst, bemerkenswerter
stimmlicher Präsenz und diebischem Spaß am Richtig-fies-und-gemein-Sein.
Auch Sabrina Fries piesackt und meckert als Mère Ubu mit sichtlicher
Freude.Ein Bühnenbild braucht es nicht, wo es weitergeht, wird mit Trompete
aus dem Chor mitgeteilt, der den ganzen Abend über vor der Bühne sitzt und
das Geschehen begleitet: mal als dadaistisches Geräuschorchester unter
Roland Wehlings Leitung, mal mit improvisierten Kommentaren. So entsteht
anderthalb Stunden lang ein quicklebendiges Chaos, das jedem
Ensemblemitglied Raum gibt, auch jenen, die keine Sprechrollen übernehmen
können.
Dass dabei nicht jeder Satz perfekt sitzt und man mitunter auch mal den
Überblick verliert, was passiert, macht hier überhaupt nichts. Ganz im
Gegenteil: Die spürbare Verletzlichkeit einiger Darsteller:innen steht
in einem faszinierenden Kontrast zur moralischen Verkommenheit ihrer
Rollen.
Und mehr Moral gibt einem auch das Klabauter Theater am Ende nicht mit auf
den Weg. Trotz aller offenkundigen Parallelen zur absurden Tyrannis der
Gegenwart bleibt auch dieser „König Ubu“ Jarry treu. Es ist kein kritischer
Kommentar, auch keine Parodie, sondern ein Fest der Inklusion und
gemeinsamen Spielfreude als ganz praktischer Gegenentwurf zu
Machtmissbrauch und Ausgrenzung, der Mut macht für die absurde Realität
jenseits der Bühne.
26 Feb 2025
## AUTOREN
Robert Matthies
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