# taz.de -- was bisher geschah: Das Leben hinter Claude Lanzmanns „Shoah“ | |
Es ist die letzte Vorstellung dieses Berlinale-Tages, der Kinosaal ist gut | |
gefüllt. Dabei eignet sich spätabendliche Müdigkeit nicht besonders gut für | |
das Berlinale Special „Je n’avais que le néant – ‚Shoah‘ par Lanzman… | |
Aber der Film von dem französischen Regisseur Guillaume Ribot verbietet | |
einem trotz Roadmovie-Vibes und idyllischer Naturbilder das Wegnicken. Oder | |
gerade deswegen. | |
Im Film hört man Lanzmann im Off sagen, dass sein Film nicht das Leben, | |
sondern den Tod zeigen würde. Ribots Making-Off hingegen zeigt das Leben | |
dahinter. Wie Lanzmann und sein Team im Van zwischen USA, Deutschland, | |
Israel und schließlich auch Treblinka, Polen unterwegs ist, auf der Suche | |
nach scheinbar toten Erinnerungen. Wie der Filmemacher als ketterauchender | |
Detektiv Hinterbliebene aufsucht, Opfer, Täter und Nachbar*innen, mit | |
versteckten Kameras hantiert, auffliegt und die Flucht ergreifen muss. | |
Mehr als die vielen Momente des Schweigens sind es die Momente des Lachens | |
und die zu warmen Farben des Films, die schmerzen. Wenn Lanzmann einen Nazi | |
mit Blutwurst-Metaphern konfrontiert und sich danach selbst ins Fäustchen | |
lacht, hört man Lacher im Saal, aus der eigenen Kehle. Es ist ein Lachen, | |
das im Hals steckenbleibt. | |
„Je n’avais que le néant“ – „Ich hatte nichts als das Nichts“, sag… | |
Lanzmann über den Ausgangspunkt seines Vorhabens, „Shoah“ zu drehen. 1985, | |
12 Jahre später, stellte er seinen neunstündigen Dokumentarfilm fertig. | |
Ribot verfolgt Lanzmann in unveröffentlichtem Videomaterial mit ruhiger | |
Erzählstimme, die Lanzmanns Notizen zu „Shoah“ aus seiner Autobiografie | |
„Der patagonische Hase“ und anderen Texten vorträgt. | |
Unerbittlich jagt Lanzmann scheinbar toten Erinnerungen nach. Etwa wenn er | |
Abraham Bomba, der jüdischen Frauen kurz vor der Vergasung im | |
Vernichtungslager Treblinka die Haare schneiden musste, auffordert, nochmal | |
die gleichen Schnittbewegungen wie früher durchzuführen. Oder wenn er Franz | |
Suchomel, einen ehemaligen SS-Unterscharführer, der die Ermordung von fast | |
zwei Millionen Juden mitverantwortete, zum Singen eines Arbeitsliedes | |
bringt. Das gleiche Lied mussten die Jüd*innen im Treblinka-Lager singen. | |
Nach dem Abspann hält der Applaus lange an. | |
Yi Ling Pan | |
22 Feb 2025 | |
## AUTOREN | |
Yi Ling Pan | |
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