# taz.de -- ohne stimme: Ido fürchtet Entwicklungen wie in Israel | |
Ich bin vor 18 Jahren aus Israel nach Berlin gekommen, da war ich 21 Jahre | |
alt. Ich fand es eine romantische Idee, Psychologie auf Deutsch zu | |
studieren. Ich wollte explizit nach Berlin, nicht nach Deutschland. Es ist | |
eine sehr besondere Stadt, in der man so leben kann, wie man wirklich ist. | |
Wählen darf ich nicht, ich bin kein deutscher Staatsbürger. Dabei könnte | |
ich mich längst einbürgern lassen. Aber bis vor Kurzem hätte ich dafür den | |
israelischen Pass abgeben müssen. | |
Ich habe auch die ungarische Staatsangehörigkeit. Ich darf hier leben und | |
arbeiten und auf kommunaler Ebene oder bei der Europawahl mitwählen, | |
deswegen war die Frage für mich nie so existenziell. | |
Lange war ich in einem Zwischenstadium, ich habe nie gesagt: Ich emigriere | |
jetzt für immer, sondern habe mich immer wieder neu dafür entschieden. | |
Jetzt, gerade als Vater, hat sich ein anderes Gefühl von Zugehörigkeit und | |
Verantwortung eingestellt. Und seit Kurzem ist die doppelte | |
Staatsangehörigkeit möglich. Wenn ich darüber nachdenke, merke ich aber: | |
Das ist nicht nur eine pragmatische Frage. Deutscher werden, diesen | |
Gedanken muss ich erst mal sacken lassen. | |
Ich lese viel mehr Nachrichten aus Israel als aus Deutschland. Trotzdem | |
verfolge ich, was hier passiert. Vor allem durch mein Umfeld: meine Frau | |
und meine Freunde und Bekannten. Mir macht die politische Entwicklung hier | |
Sorge. Als ich 2006 herkam, hatte ich das Gefühl, die allermeisten Leute in | |
Deutschland sind zufrieden. Das hat mich überrascht, in Israel war das nie | |
so. Inzwischen scheint eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Politik fast | |
Konsens zu sein – egal, wen und mit welcher Haltung man fragt. | |
Natürlich hat der 7. Oktober mein Gefühl, hier zu leben, sehr verändert. | |
Mich frustriert es enorm, dass im gesellschaftlichen wie auch politischen | |
Diskurs dieser Drang vorherrscht, sich entweder ganz auf die eine oder ganz | |
auf die andere Seite zu stellen. Dürfte ich wählen, wäre das für meine | |
Entscheidung aber nicht maßgeblich. | |
Die AfD wird hier immer stärker und auch viele andere Parteien wandern nach | |
rechts, um Stimmen abzufangen. Diese Entwicklung kenne ich aus Israel und | |
es besorgt mich. Denn dort haben wir gesehen, wie das linke Lager immer | |
mehr verschwindet, immer mehr zum Zentrum wird und sich nicht mehr traut, | |
linke Politik zu machen. Manchmal denke ich, Merkels Entscheidung, die | |
Grenzen 2015 nicht zu schließen, war so etwas wie der letzte große Akt des | |
Liberalismus hier. Die endgültige Wiedergutmachung, und seitdem rückt alles | |
nach rechts. Das macht mir große Angst, vor allem weil ich fürchte, dass | |
diese Bewegung schwer aufzuhalten ist. Protokoll: Dinah Riese | |
12 Feb 2025 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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