# taz.de -- ohne stimme: Nicole Zehnder will linke Politik | |
Ich bin in der Nähe von Basel aufgewachsen, nahe der französischen und der | |
deutschen Grenze. Während meines Studiums war ich in Frankreich, in | |
Portugal, im italienischen Teil der Schweiz – ich habe Europa immer als | |
etwas Ganzes erlebt, wo man sich aussuchen kann, wo man leben möchte. | |
Mein Partner ist Deutscher. Nach dem Studium ist er mit mir in die Schweiz | |
gekommen. Dort wurde damals über die „Masseneinwanderungsinitiative“ | |
abgestimmt, es ging überall darum, Einwanderung zu limitieren. Weil mein | |
Partner keinen unbefristeten Vertrag hatte, bekam er jedes halbe Jahr die | |
Aufforderung, doch bitte das Land zu verlassen. Das hat das Leben für uns | |
als internationales Paar sehr unattraktiv gemacht. | |
Nach Deutschland wollte ich nicht wirklich. Als Architektin ist die Arbeit | |
in der Schweiz viel spannender. Es war eher eine Entscheidung für Berlin: | |
Ich fand das toll, eine künstlerisch-alternative Stadt, sehr international, | |
mit einer linken Szene – das hat mir in der Schweiz immer gefehlt. Wir | |
haben einen kleinen Sohn. Hier ist die Kita gratis, wir konnten beide in | |
Elternzeit gehen. Für uns lebt es sich hier viel gleichberechtigter, als | |
das in der Schweiz möglich wäre. | |
Wenn ich mit Freund*innen über die Wahl rede, stutzen viele, wenn ich | |
sage, dass ich nicht wählen darf. Alle wissen, dass ich Schweizerin bin, | |
aber ich werde oft nicht als Ausländerin wahrgenommen, schon gar nicht als | |
Nicht-EU-Bürgerin. Ich bin in der Schweiz wahlberechtigt, vom Schulrat bis | |
zum Parlament. Aber das wird mir zunehmend fremd. Was hier passiert, ist | |
mir viel näher und betrifft mich viel direkter. | |
Das erste Mal über Einbürgerung nachgedacht habe ich, als Russland die | |
Ukraine angriff. Mich hat der Gedanke geängstigt, dass überall die Mauern | |
höher werden und wir als Familie mit unterschiedlichen Staatsbürgerschaften | |
da nicht reinpassen. Die Voraussetzungen erfülle ich, meinen Schweizer Pass | |
darf ich behalten – am Ende bin ich an der Überlastung der Berliner | |
Bürokratie gescheitert. Es hätte bis zu zwei Jahren gedauert, bis mein | |
Antrag bearbeitet wird. Gerade vor der Wahl fuchst mich sehr, dass mich das | |
so abgeschreckt hat. So war es schon, als nach der Berliner | |
Wiederholungswahl die CDU übernommen hat. Ich fand es schön, an einem Ort | |
zu leben, der links regiert wird. Wo Fahrradwege Priorität haben oder Kunst | |
für alle zugänglich ist. Ich fürchte, dass es nach der Wahl aber weiter | |
nach rechts geht. Manchmal denke ich: Dann geh ich halt. Andererseits – | |
wohin? Und dann denke ich umso mehr, dass ich mich einbürgern lassen, noch | |
mehr einbringen und engagieren sollte, auch im Lokalen. Um dem etwas | |
entgegenzusetzen. | |
Protokoll: Dinah Riese | |
10 Feb 2025 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |