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# taz.de -- „Am meisten vermisse ich mein Zuhause“
Lina, 36 Jahre alt, Mutter von drei Kindern im Alter von 5, 7 und 12
Jahren. Die Familie lebte in einem Dorf im Süden des Libanons und ist jetzt
in einer Sammelunterkunft im Norden untergebracht. Das Protokoll entstand
zur Zeit in der Notunterkunft.
Es ist sehr schwer, eine Mutter mit drei kleinen Kindern zu sein. Ich denke
nicht an mich, ich denke nur an sie. Ich möchte sie vor allem schützen, was
passiert. Jetzt sind wir schon eine ganze Weile hier. Ich wusste, dass wir
an einen Ort kommen, an dem es schwieriger ist, als im Dorf. Aber das
Wichtigste sind die Kinder. Ihretwegen sind wir hierhergekommen. Keiner
verlässt sein Haus einfach so.
Die Kinder wissen, dass wir uns im Krieg befinden. Sie verstehen, was vor
sich geht. Sie hören die Geräusche, den Überschallknall, dann kommen sie zu
mir und erzählen mir, was sie gesehen oder gehört haben: Hier war ein
Geräusch, dort wird angegriffen, dort gibt es Märtyrer, „Mama, schau mal
auf die Straße, da sind Menschen, die keinen ruhigen Platz zum Bleiben
finden“, sagen sie zum Beispiel. Es gibt eine Menge Dinge, die sie wissen,
die sie um sich herum sehen. Sie hören es auch von anderen Kindern. Wir
sprechen nicht über alles mit ihnen oder vor ihnen, damit sie keine Angst
bekommen. Wir sagen ihnen: „Das ist nichts, Liebes, morgen wird alles
besser sein, der Libanon wird besser sein.“ Wir vereinfachen die Dinge,
damit sie sich nicht so viele Sorgen machen.
Mit meinen Sorgen wende ich mich an Gott. Er ist meine Stütze, mein Retter.
Er tröstet mich. Keiner kann mir geben, was Gott mir gibt. Letztendlich
sorgt Gott für mich. Keiner fühlt sich mehr sicher. Wir alle haben Angst.
Woher nehmen wir all diese Kraft? Es gibt niemanden außer Gott, der dir
Kraft und Geduld geben kann. Was wir jetzt erleben, ist unglaublich.
Ich bin kein besonders ängstlicher Mensch. Selbst als wir im Dorf waren und
wenn wir den Überschallknall der Raketen hörten. Ich habe mich an die
Kinder gewandt, sie beruhigt und gesagt: „Nicht so schlimm, meine Lieben.“
Ich versuche, in ihrer Nähe stark zu sein. Aber natürlich ist es dann doch
etwas anderes, wenn ein schwerer Angriff passiert, eine Bombe oder Rakete
neben dir einschlägt. Dann möchte man fliehen.
Gott sei Dank haben wir unser Dorf verlassen, bevor die Angriffe in unsere
Nähe kamen. Vor ein paar Tagen wurde unser Dorf getroffen, und mindestens
zehn Märtyrer, Männer und Frauen, starben. Wäre ich im Dorf gewesen, hätte
ich die Einschläge sicher hautnah miterlebt und mehr Angst gehabt.
Bevor wir fliehen mussten, war unser Leben sehr ruhig. Wir hatten ein
schönes Haus, in dem wir uns sehr wohlgefühlt haben, die Kinder gingen in
den Garten, sie spielten und trafen ihre Freunde. Nichts hat uns gestört
oder belästigt. Alles war gut – Gott sei Dank. So wie es eben für die
meisten Menschen ist.
Am meisten vermisse ich natürlich mein Zuhause. Ich bin ein sehr häuslicher
Mensch. Wir hatten keine Probleme oder Streitereien mit den Nachbarn. Die
meiste Zeit habe ich zu Hause mit den Kindern verbracht. Ich vermisse die
Ruhe dieser Momente. Das ist es, was ich hier nicht habe und was ich mir
hier wünschte.
Es macht mir zu schaffen, mich weit weg der Heimat und fremd zu fühlen. Wir
leben zusammen mit Leuten, die wir nicht kennen. Wir sind jetzt drei
Familien, vorher waren wir vier. Die Leute kommen und gehen. Ich muss mich
vor den Augen der Männer bedecken, wir können uns nicht ständig waschen und
auch unsere Kinder nicht waschen. Das sind die Alltäglichkeiten, die mir
Stress bereiten.
Die Kinder haben sich leider verändert. Vor allem in Bezug auf Disziplin
und Pünktlichkeit. Zu Hause waren sie brav und gehorsam. Wenn ich sie
gerufen habe, sind sie gekommen. Sie hatten eine Struktur und Routine. Sie
hatten eine bestimmte Zeit, zu der sie ins Bett gegangen sind, eine Zeit
fürs Essen; das Essen kam immer rechtzeitig auf den Tisch. Jetzt kommen sie
einfach und sagen: „Mama, ich will mit meinen Freunden spielen, anstatt die
Hausaufgaben zu machen.“ Ich habe ein anderes Kind beobachtet, das nicht
auf seine Eltern reagiert hat.
Was die Erziehung vielleicht noch schwieriger macht, ist, dass die Kinder
von anderen Kindern oder Erwachsenen beeinflusst werden: Sie schnappen auf,
was sie sagen und orientieren sich daran, was sie tun.
Mit Unterstützung von Save the Children. Alle Protokolle: Julia Neumann
7 Feb 2025
## AUTOREN
Julia Neumann
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