# taz.de -- Exotismus, feministisch überschrieben | |
> Teodor Currentzis und Utopia gastierten mit Henry Purcells Semi-Oper „The | |
> Indian Queen“, in einer modernisierten Fassung von Peter Sellars, in der | |
> Philharmonie | |
Von Katharina Granzin | |
Mit der sogenannten Semi-Oper beschritt die englische Musikszene im 17. | |
Jahrhundert zeitweilig einen Sonderweg. In dieser dramatischen Form | |
wechselte Gesang mit Gesprochenem ab, Tanz- und Instrumentalnummern kamen | |
hinzu. Henry Purcell schrieb mehrere Semi-Opern, konnte aber die letzte, | |
„The Indian Queen“, vor seinem frühen Tod nicht vollenden. Das | |
hinterlassene Fragment hat sich als Steilvorlage für [1][Peter Sellars] | |
erwiesen, der den exotistischen Stoff unter Verwendung eines Romans der | |
Autorin Rosario Aguilar in eine feministische Saga über die frühe | |
Kolonialzeit verwandelt hat. Sellars hat eine erzählende Sprechrolle | |
eingefügt und das musikalische Material um etliche populäre Purcell-Arien | |
ergänzt. | |
Teodor Currentzis und sein international besetztes Orchester Utopia (im | |
Herbst 2022 gegründet, nachdem es viel schlechte Presse gegeben hatte wegen | |
[2][Currentzis’ russisch finanzierten Orchesters musicAeterna und seines | |
Schweigens zum Ukrainekrieg]) brachten Sellars’ Version 2023 auf den | |
Salzburger Festspielen zur Aufführung. An diesem Montag war die Produktion | |
in der Philharmonie zu erleben. | |
Currentzis hat für die Berliner „Princess“ einen neuen internationalen Cast | |
mitgebracht, die Besetzung der weiblichen Hauptrolle aber bleibt dieselbe | |
wie in Salzburg. Die südamerikanische Prinzessin Teculihuatzin, die an | |
einen spanischen Eroberer verheiratet wird, wird gesungen von der aus | |
Trinidad stammenden Sopranistin Jeanine de Bique. Eine Erzählerin, | |
mitreißend gesprochen von Amira Casar, vermittelt in Ich-Perspektive aus | |
Sicht von drei verschiedenen Frauen das Geschehen, während die Singenden | |
die inneren Zustände der Figuren musikalisch mit Leben füllen. Unter den | |
sämtlich eindrucksvollen SolistInnen fällt der erst 24-jährige Sopranist | |
Dennis Orellana auf mit seiner einzigartigen Stimme, die, sehr | |
überraschend, nicht wie die eines Countertenors, sondern ganz wie ein | |
weiblicher Sopran klingt und dabei sehr beweglich und leicht geführt ist. | |
Absolut überragend aber ist die Performance von Jeanine de Bique. In jedem | |
der vielen barocken Schnörkel ihrer Partie scheint die ganze Seele ihrer | |
Figur, in jeder musikalischen Geste eine Welt voll Bedeutung zu liegen. | |
Um Gesten im konkreten Wortsinne ist diese Produktion nicht verlegen, vor | |
allem in Bezug auf das sehr involvierte Dirigat des Maestros, der besonders | |
zu Beginn des Abends bestrebt scheint, dem Orchester sogar kleinste | |
Verzierungen pantomimisch vorzuspielen. Als SängerIn braucht man vermutlich | |
sehr viel (Selbst)vertrauen, um mit Currentzis’ Eigenart umgehen zu | |
können, die SolistInnen während der Arien oft aus nächster Nähe mit so | |
fordernd expressiven Gesten zu dirigieren, als sei der singende Mensch nur | |
eine klingende Marionette am Faden. Doch wenn bei dieser Form der | |
suggestiven Außenlenkung die Grenze zwischen hochexpressivem Wohlklang und | |
forcierter Überbetonung hin und wieder angekratzt wird, ist das wohl genau | |
das, was Currentzis will. Er entlockt der Partitur Kontraste, wie sie | |
extremer kaum ausführbar wären, kann das Orchester, supersanft-säuselnd, an | |
die Schwelle zur Unhörbarkeit führen, um anderswo rauestmögliche Kantigkeit | |
zu fordern. Das alles ist fantastisch und mit absoluter Hingabe musiziert, | |
aber der unbedingte Wille zum größtmöglichen innermusikalischen Drama ist | |
jederzeit spürbar. | |
Im ansonsten herrlich feingetunten Chor ist der Sopran etwas übergewichtet | |
besetzt, was den Effekt dramatischer Narration verstärkt, aber zu Lasten | |
der Ausgewogenheit des barocken Klanggefüges geht. Nein, ein Purist ist | |
Currentzis nicht. Aber puristisch können andere auch, und was er macht, | |
traut sich sonst keiner. Das besondere Erlebnis dieses Abends – über | |
dreieinhalb Stunden musikalische Hochspannung! – wäre aber womöglich noch | |
eindrücklicher gewesen, wenn man dem Publikum ein paar Übertitel spendiert | |
hätte. Gesungener Text ist eh in der Regel unverständlich, und sicher gab | |
es unter den Anwesenden etliche, die auch dem englischen Sprechtext nicht | |
gut folgen konnten. | |
20 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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