# taz.de -- die erklärung: Ein Frieden, viele Fragezeichen | |
> Unter dem Druck von Donald Trump haben sich Israel und die Hamas auf eine | |
> Waffenruhe geeinigt. Was im Abkommen steht und warum es immer noch | |
> wackelt | |
Bild: Ein Wandgemälde in Tel Aviv zeigt israelische Soldatinnen, die in Gaza f… | |
Aus Jerusalem und Berlin Judith Poppe und Felix Wellisch | |
1 Wieso kommt die Einigung ausgerechnet jetzt? | |
Das Abkommen vom Mittwochabend ist nicht neu. Der Plan lag in etwa dieser | |
Form spätestens seit Ende Mai 2024 auf dem Tisch. Die Gespräche aber waren | |
mehrfach gescheitert – im Mai, weil der israelische Regierungschef Benjamin | |
Netanjahu im letzten Augenblick abgelehnt hat. Dabei schien sein Vorgehen | |
getrieben von den Drohungen der extrem rechten Parteien in seiner | |
Koalition, im Fall eines Abkommens die Regierung zu Fall zu bringen. So | |
beharrte Netanjahu lange auf dem „absoluten Sieg“ über die Hamas, entgegen | |
dem Rat seiner eigenen Armeeführung. Mehr als 10.000 Palästinenser, | |
mindestens acht Geiseln und über 120 israelische Soldaten bezahlten die | |
Verzögerung mit ihrem Leben. | |
Militärisch hat sich seither wenig verändert. Nun war es der Druck des | |
künftigen US-Präsidenten Donald Trump, der die Verhandlungen unter | |
Vermittlung der USA, Katars und Ägyptens wieder in Bewegung brachte. Ein | |
Mix aus Drohungen und Unberechenbarkeit scheint bewirkt zu haben, was Joe | |
Biden nicht gelungen war. Was auch daran liegt, dass Biden sich zwar | |
zunehmend über Netanjahus Starrsinn beschwerte, aber nie Konsequenzen zog. | |
Die Bomben, mit denen Israel den Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt | |
hat, wurden weiter geliefert. Die Hamas konnte sich verhandlungsbereit | |
präsentieren, ohne es beweisen zu müssen. | |
2 Was ist überhaupt der Plan? | |
Ab Sonntag oder Montag Mittag sollen die Waffen schweigen. Außerdem sollen | |
die ersten drei Geiseln freigelassen werden. Insgesamt sollen in den 42 | |
Tagen der vorläufigen Waffenruhe nach und nach 33 Geiseln freigelassen | |
werden, zuerst Frauen und Kinder, dann Verwundete und Männer über 55 | |
Jahren. Neben den am 7. Oktober entführten Geiseln betrifft das auch | |
[1][Avera Mengistu] und [2][Hisham al-Sayad], die seit 2014 und 2015 in | |
Gaza festgehalten werden. | |
Die jungen und unversehrten Männer unter den Geiseln kommen erst in einer | |
potentiellen Verlängerung der Waffenruhe frei. Wie viele Geiseln noch am | |
Leben sind, sollte nach einer Woche klar werden. Dann, so das Abkommen, | |
soll die Hamas Israel eine Liste mit den Namen aller Geiseln und ihrem | |
jeweiligen Zustand zukommen lassen. Die Zahl der freizulassenden | |
palästinensischen Gefangenen richtet sich nach dem Zustand der Geiseln. Für | |
neun verwundete Israelis sollen etwa 110 Palästinenser entlassen werden, | |
die lebenslängliche Haftstrafen in Israel verbüßen. | |
Das israelische Militär soll im Gegenzug außerdem den Netzarim-Korridor | |
verlassen, mit dem es den Gazastreifen in einen nördlichen und einen | |
südlichen Teil getrennt hat. Es soll der Bevölkerung erlauben, in den | |
abgeriegelten Norden zurückzukehren. Der Deal sieht vor, dass täglich 600 | |
Lastwagen mit humanitären Gütern die Menschen in Gaza versorgen. | |
3 Die Waffenruhe soll erst einmal 42 Tage gelten. Und dann? | |
Wie es in der zweiten Phase des Abkommens weitergeht, soll ab dem 16. Tag | |
der Waffenruhe ausgehandelt werden. Angepeilt ist die Freilassung der | |
restlichen 65 Geiseln und der Rückzug des israelischen Militärs aus dem | |
sogenannten [3][Philadelphi-Korridor an der Grenze zu Ägypten]. Außerdem | |
soll sich Israels Armee aus dem Gazastreifen zurückziehen, bis auf eine | |
Pufferzone zu den benachbarten israelischen Ortschaften. | |
4 Wird der Deal halten? | |
Vielleicht. Benjamin Netanjahus Koalitionspartner wollen den Krieg und | |
machen Druck, nicht zuzustimmen. Donald Trump, der sich als Friedensbringer | |
inszenieren will, übt Druck in die andere Richtung aus – auf Israel, die | |
Hamas und auf Katar als zentralen Verhandler. Trump strebt wohl eine | |
längerfristige Lösung an, die die Basis für eine Normalisierung zwischen | |
Israel und Saudi-Arabien sein soll. Ob Netanjahu und die Hamas aber | |
Interesse an einer längerfristigen Lösung haben, ist fraglich. | |
Auch im Abkommen selbst gibt es Fallstricke. Für die Hamas könnte es eine – | |
reale oder vorgeschobene – Herausforderung werden, alle Geiseln zu finden. | |
Einige sind in den Händen anderer Milizen. Kritisch dürfte auch der Moment | |
werden, in dem Israel die Liste der noch lebenden Geiseln erhält. Die | |
Frage, wie viele Palästinenser entlassen werden sollen und welche genau, | |
könnte ebenfalls zum Bruch führen. | |
5 Gaza ist völlig zerstört, die Hamas nicht. Und nun? | |
Endet der Krieg jetzt, hat Israel sein Ziel, die Hamas zu zerschlagen, | |
verfehlt. Einen ernsthaften Nachkriegsplan hat die israelische Regierung | |
zumindest öffentlich nie diskutiert. Gaza unter die Kontrolle der | |
Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) zu stellen, hat Benjamin Netanjahu | |
mehrfach abgelehnt. Vor wenigen Tagen hat Noch-US-Außenminister Antony | |
Blinken Nachkriegspläne vorgelegt, die er an Donald Trump übergeben wird. | |
Die Idee: eine reformierte PA an der Spitze des Gazastreifens mit | |
internationaler Hilfe. | |
Nach einer langsamen Kehrtwende hat der Premier der PA, Mohammad Mustafa, | |
am Dienstag erklärt, die Führungsrolle in Gaza übernehmen zu wollen. In der | |
Bevölkerung [4][hat die PA allerdings kaum Rückhalt], auch nicht im | |
Westjordanland, wo sie regiert. Viele werfen ihr vor, der verlängerte Arm | |
der Besatzung zu sein. Die Hamas wiederum wurde im Krieg massiv geschwächt, | |
hat aber ihren Führungsanspruch nie aufgegeben. | |
Eine gigantische Aufgabe ist der Wiederaufbau. Neun von zehn Häusern in | |
Gaza sollen laut UN beschädigt oder zerstört sein. Ägypten hat sich am | |
Dienstag bereit erklärt, eine internationale Konferenz zum Wiederaufbau | |
auszurichten. | |
6 Zerbricht Netanjahus Regierung am Abkommen? | |
Seit die Einigung verkündet wurde, ist ein Bruch der Koalition in Jerusalem | |
nähergerückt. Netanjahu ist auf seine ultraorthodoxen und | |
religiös-nationalistischen Partner angewiesen. Der extremistische Siedler | |
und Polizeiminister Itamar Ben-Gvir hat angekündigt, im Falle eines | |
Abkommens die Koalition zu verlassen. Finanzminister Bezalel Smotrich | |
sprach sich gegen ein Ende des Krieges aus, scheint aber den vorläufigen | |
Waffenstillstand bis zum Ende von Phase eins akzeptieren zu wollen. Würde | |
er danach ebenfalls austreten, stünde Netanjahu ohne Parlamentsmehrheit da. | |
Die Oppositionsführer Benny Gantz und Jair Lapid allerdings versicherten, | |
ihn stützen zu wollen, solange das Abkommen eingehalten werde. | |
7 Wenn der Deal hält, kommt dann der Frieden? | |
Der Waffenstillstand ist nach 15 Monaten Krieg ein Hoffnungsschimmer. Doch | |
die größte Aufgabe beginnt erst danach. Die Worte Frieden und Versöhnung | |
waren schon vor dem 7. Oktober 2023 kaum noch gefallen. [5][Eine | |
palästinensisch-israelische Umfrage] vom September 2024 ergab, dass 80 | |
Prozent der Palästinenser finden, dass das Leid unter der Blockade des | |
Gazastreifens rechtfertigt, was die Hamas am 7. Oktober getan hat. 84 | |
Prozent der jüdischen Israelis wiederum finden, dass die Ereignisse des 7. | |
Oktober die Kriegsführung Israels in Gaza rechtfertigen. | |
Die westlichen Staaten, allen voran Israels wichtigste Waffenlieferanten | |
Deutschland und die USA, haben ihr politisches Kapital bei den | |
Palästinensern verspielt, indem sie dem Töten in Gaza mit kraftlosen | |
Mahnungen begegneten. Donald Trump dürfte indes eigene Pläne für die Region | |
haben. Eine gerechte und sichere Zukunft für die Menschen dort wird darin | |
kaum oberste Priorität haben. | |
18 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.juedische-allgemeine.de/tag/avera-mengistu/ | |
[2] https://www.bbc.com/news/world-middle-east-61976009 | |
[3] /!5991577&SuchRahmen=Print | |
[4] /!6012931&SuchRahmen=Print | |
[5] https://pcpsr.org/sites/default/files/Summary%20Report_%20English_Joint%20P… | |
## AUTOREN | |
Felix Wellisch | |
Judith Poppe | |
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