# taz.de -- Kein Licht aus dem Osten | |
> Hendrik Bolz alias Testo von Zugezogen Maskulin eröffnete im Berliner | |
> Ensemble eine Gesprächsreihe über Ostdeutschland | |
Von Jens Winter | |
Es war ein bisschen deprimierend. Neunzig Minuten lang redete [1][Hendrik | |
Bolz alias Testo], der zusammen mit grim104 das Rap-Duo Zugezogen Maskulin | |
bildet, mit [2][David Begrich von Miteinander e. V. aus Magdeburg] über die | |
Zivilgesellschaft in Ostdeutschland. Das Gespräch am Mittwochabend im | |
Berliner Ensemble war der Auftakt der Reihe „Aus Ruinen“, in der Bolz | |
abwechselnd im Werkraum des Berliner Ensembles und an einem Ort in | |
Ostdeutschland, als Nächstes in Leipzig, mit Gästen über linkes Engagement | |
im Osten reden wird. | |
Begrich, der sich augenzwinkernd als „Korrespondent aus dem Nahen Osten“ | |
vorstellte, sagte gleich zu Beginn, Ostdeutschland sei eigentlich | |
„auserzählt“. „Plattenbauten, Arbeitslosigkeit, Springerstiefel“, man … | |
es. Aber: „Ex oriente lux!“. Das wusste schon Stalin. Vielleicht kommt ja | |
doch noch die Erleuchtung. | |
Bolz, der das Gespräch wirklich sehr charmant leitete, sprach mit dem | |
Berater und Rechtsextremismusexperten dann vor allem über das Attentat von | |
Magdeburg am 20. Dezember, dessen Folgen für migrantische Menschen in der | |
Stadt, wie Begrich die Kranzniederlegung der Jungen Alternative, einen dem | |
Attentat folgenden Neonaziaufmarsch und die Gedenkveranstaltung der AfD am | |
23. Dezember erlebte und wie er eine eigene Mahnwache organisierte, „um | |
dagegenzuhalten“. | |
Dass Personen mit Migrationshintergrund sich aufgrund der rassistischen | |
Stimmung in der Stadt überlegt hätten, ob sie ihre Kinder unbegleitet in | |
die Schule senden könnten oder ob sie aus dem Haus gehen sollten, war wohl | |
die traurigste Folge des Attentats, über die Begrich berichtete. | |
Zwar mahnte er „Raum für Ambivalenzen“ an und wies darauf hin, dass sich | |
Ostdeutsche als Opfer von Attentaten im Gegensatz zu Opfern rassistischer | |
Anschläge nicht gesehen fühlten – was, wie er sagte, aber nicht stimmte. | |
Über die sechs Todesopfer und knapp dreihundert Verletzten des Attentats | |
sprach er trotzdem nicht. | |
Bolz alias Testo ist vielleicht die beste und sympathischste Wahl, die das | |
Berliner Ensemble für das Format hatte treffen können. Bis 2022 moderierte | |
der aus Stralsund stammende Rapper den Podcast „Zum Dorfkrug“, in dem er | |
mit Künstlern über das Aufwachsen auf dem Land redete. [3][2022 erschien | |
sein Roman „Nullerjahre“] über sein Leben zwischen Aufwachsen unter Nazis | |
im Osten und Erwachsenenleben in der Berliner Kultur-Boheme. Seit 2023 | |
macht er in Kooperation mit dem MDR und zusammen mit dem Journalisten Don | |
Pablo Mulemba wieder [4][einen Podcast, „Springerstiefel“], auch über | |
Ostdeutschland. | |
Sein riesiger, im Sessel versinkender Körper schien zumindest etwas die | |
Resignation auffangen zu können, die Begrich auch hinter seiner | |
ausgestellten Coolness kaum verbergen konnte. Polizei? Die könne, wenn | |
linke Akteure bedroht würden, letztlich nichts ausrichten, es bräuchte | |
vielmehr eine starke Zivilgesellschaft. Was könne man konkret machen? Bitte | |
nicht nochmal irgendein Klischee über Ostdeutschland aufwärmen. | |
Zukunftsprognose? Es ginge nicht mehr darum, bestimmte Entwicklungen | |
aufzuhalten, sondern bloß noch darum, wie man dem „demokratischen Kern … | |
das Weiteratmen“ ermögliche. Man müsse sich auf das Schlimmste vorbereiten, | |
wie Verbote von Veranstaltungen oder Theaterstücken unter AfD-Regierungen. | |
Eine Frau meldete sich, sie brauche etwas Hoffnung. Man könne noch mal | |
Brecht lesen, so Begrich, oder Brasch. Eisler hören oder HipHop. Oder | |
ostdeutschen Initiativen mal eine Flasche Wein senden. Das wäre schon viel. | |
27 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Jens Winter | |
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