# taz.de -- Detlef Diederichsen Böse Musik: Die Spotify-Apokalypse der Ghostar… | |
Liebe*r Leser*in – Sie sind böse. Denn Sie sind schuld, dass via Spotify | |
in Kürze die Zombie-Apokalypse über uns hereinbricht. Und diese geht so: | |
Böse Musik hat schon im April auf die [1][Zusammenarbeit von Spotify mit | |
„Ghost Artists“] hingewiesen – allerdings ohne diesen neuen Fachbegriff zu | |
kennen und zu verwenden –, als es um die unglaubliche Erfolgskarriere des | |
schwedischen Musikers Johan Röhr ging. Er steht damit natürlich nicht | |
allein. „Geisterkünstler“ wie er, die teilweise unter hunderten von | |
Pseudonymen ihre Werke über Spotify vertreiben, sind die letzte Stufe vor | |
der Delegierung der Musikproduktion an KIs. | |
Im Prinzip geht es um das, was man früher Muzak nannte, Musik, die nicht | |
mit Hörer*innen kommunizieren will, sondern die sie sedieren will. | |
Früher fand man das böse, und das klassische Feindbild war die Soundtapete | |
im Supermarkt, die von finsteren Musikpsychologen so ausbaldowert war, dass | |
Menschen Dinge kauften, die sie eigentlich gar nicht wollten. | |
Fünf Jahrzehnte und etliche Technologiesprünge später haben wir jetzt | |
Spotify, das große Erfolge mit sedierenden Soundtapeten feiert und sie in | |
Playlists unter Überschriften wie „Chill Instrumental Beats“, „Peaceful | |
Piano“, „Ambient Relaxation“ oder „Deep Sleep“ einsortiert. Heute fin… | |
Hörer*innen solche Audiowerke nicht mehr böse, fühlen sich nicht mehr | |
manipuliert, sondern lieben sie. Sie nehmen sie mit zum Joggen, Trainieren, | |
Arbeiten oder Rumsitzen beim Friseur oder in doof-schicken Cafés. Ohne sie | |
würden sie das alles nicht aushalten. | |
Böse Musik verdankt die Fakten zu diesem Text der New Yorker Journalistin | |
Liz Pelly, aus deren Buch „Mood Machine: The Rise of Spotify and the Cost | |
of the Perfect Playlist“ Harper’s Magazine Anfang des Monats einen | |
Vorabdruck publizierte. Sie beschreibt darin unter anderem, wie aus | |
Spotifys Ambient-Listen Songs von Brian Eno, Jon Hopkins und Bibio | |
verschwanden und ersetzt wurden durch solche aus Muzak-Manufakturen, mit | |
denen Spotify Lieferverträge abgeschlossen hatte. | |
Die Autorin spricht für ihr Buch auch mit Musiker*innen, die solche | |
Produktionen einspielen, denn die gibt es auch noch, etwa im Jazzsegment. | |
„Es fühlt sich genauso an wie Gigs auf Hochzeiten, auf Firmenevents“, | |
erzählt so ein armer Piano-Jazzer, der sehen muss, wie er sein Leben | |
finanziert. „Es wird einem von Anfang an klargemacht, dass es sich um | |
Hintergrundmusik handelt. Man ist eine Art Möbelstück.“ | |
## Echte Musiker werden durch Muzak-Manufakturen ersetzt | |
Der große technologische Vorteil von Streamingdiensten gegenüber der | |
Tonträgerindustrie ist der Rückkanal, also die Möglichkeit, die | |
unmittelbare Reaktion von Konsument*innen für die weitere Arbeit zu | |
berücksichtigen. Es gilt, die Playlist stetig näher an die Hörerwünsche | |
heranzuführen und ihr immer weitere Millionen treuer Hörer*innen | |
zuzuführen. Und wer wäre für diesen Job besser geeignet als KIs, die | |
kontinuierlich an diesen Playlists und dem Feedback trainiert werden, bis | |
die Konsument*innen zu kompletter Zufriedenheit bedient werden? | |
Ist also Spotify böse, wenn es die Musikproduktion auf KIs überträgt? Nein, | |
es folgt damit den normalen Marktmechanismen, befriedigt eine Nachfrage zu | |
möglichst geringen Kosten. So geht Kapitalismus. [2][Ist also der | |
Kapitalismus böse? Klar, weiß man doch.] Aber dass die Nachfrage nach | |
„Ambient Relaxation“ nachlässt, wenn der Kapitalismus erst mal in die Tonne | |
getreten wurde, halte ich nicht für sehr wahrscheinlich. | |
Geben Sie also nicht den KIs die Schuld, böse*r Hörer*in, wenn Sie in | |
Zukunft beim Joggen oder Meditieren ausschließlich von ihnen bedient | |
werden. Sie führen nur die Aufträge aus, die Sie – via ein paar | |
zwischengeschalteter Vermittler – ihnen erteilen. Versuchen Sie sich | |
rauszureden, dass Sie nun mal kapitalistisch-kulturindustriell | |
konditioniert sind. | |
Aber allein wenn Sie diese Wörter kennen, ist klar, dass Sie es besser | |
wissen. Dass Sie schuld sind. Dass Sie böse sind. | |
18 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Detlef Diederichsen | |
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