# taz.de -- taz FUTURZWEI: Stimme meiner Generation: „Früher war alles besse… | |
> Ob beim Raven oder bei Oma auf der Couch. Immer erzählen die Menschen | |
> unserer Kolumnistin Ruth von vergangenen goldenen Zeiten. Was ist da los? | |
Bild: Sie weiß noch, was Techno wirklich mal war. Damals. | |
[1][taz FUTURZWEI |] Manchmal fühle ich mich in Berliner Clubs, als würde | |
ich bei Oma auf der Couch sitzen. Es riecht nach Zigarettenrauch, und | |
irgendwann sagt eine ältere Person mit Augenringen: „Früher war einfach | |
alles besser.“ „Was meinst du?“, schreie ich gegen den Beat an (also im | |
Club, nicht bei Oma). „Also, ihr nennt das hier Technoclub und wisst doch | |
gar nicht, was Techno wirklich mal war. Damals.“ | |
Damals. Damit sind die legendären 80er und 90er Jahre gemeint, in denen die | |
halbe Stadt ein einziger illegaler Rave gewesen sei, erzählt die | |
Augenringen-Frau neben mir. Als die Pillen geschluckt wurden, als wären sie | |
Smarties. Okay, ganz so alt wie meine Oma ist sie nicht, ich schätze sie | |
auf Anfang 50. | |
Sie nimmt einen Schluck aus ihrer Wasserflasche und fächelt sich Luft zu. | |
Ich erinnere mich, irgendwo mal gelesen zu haben, es sei wissenschaftlich | |
bewiesen, dass in Nostalgie zu schwelgen die gefühlte Körpertemperatur um | |
bis zu vier Grad steigen lassen könne. | |
Ich merke, dass auch mir plötzlich wärmer wird und möchte schon anfangen, | |
zu erzählen, dass diese Unbeschwertheit, der Kontrollverlust, der Spaß, ja | |
die Freiheit so zu sein, wie ich möchte, auch jetzt noch Grund für mich | |
seien, in Berlin auszugehen. Dass ich ja gerade deswegen in diese Stadt | |
gezogen sei. | |
## Der „richtige“ Berliner Techno | |
Aber da fängt schon der überhitzte Begleiter der Alt-Raverin an, lauter | |
DJ-Namen zu droppen, die ja so legendär seien und mir wirklich gar nichts | |
sagen. „Wer den nicht gehört hat, der hat noch nie richtigen Berliner | |
Techno gehört.“ | |
Irgendwie weiß ich jetzt nicht mehr so richtig, ob ich mit in Nostalgie | |
schwelgen soll, mich nach einer Zeit zurücksehnen, die ich selbst nie | |
erlebt habe, oder mich entschuldigen, weil ich leider zwanzig Jahre zu spät | |
geboren wurde und es trotzdem wage, in den Club zu gehen und Spaß zu haben. | |
Ich überlege mir, die zwei Alt-Raver zu fragen, ob sie damals eigentlich | |
von alten Punks angesprochen wurden, wie viel besser die Szene in Berlin | |
war, als die Musik noch von mittelmäßig geschrammten Saiten kam und nicht | |
aus dem Sequenzer. | |
Stattdessen sage ich: „Meine Oma meint auch immer, dass früher alles besser | |
war. Und das nehme ich auch ihr nicht ab.“ Aber niemand hört mir mehr zu. | |
Die beiden sind mittlerweile dabei, sich gegenseitig mit mehr oder weniger | |
spannenden Anekdoten zu überbieten. | |
## Kurzfristiger Glückshormon-Rausch | |
Vermutlich vereint die beiden und meine Oma doch mehr als gedacht. Ich | |
hatte mal irgendwo gelesen, dass Nostalgie kurzfristig gegen depressive | |
Verstimmungen helfen kann. Beim Gedanken an vergangene, vermeintlich | |
goldene Zeiten, in denen die Betroffenen auch noch jung und voller Neugier | |
waren, schüttet der Körper wohl irgendwelche Glückshormone aus. Und man | |
fühlt sich kurz besser, auch wenn die Gegenwart mittlerweile so glanzlos | |
erscheint. Ja, sich überfordernd schnell verändert. | |
Ich erinnere mich: Nostalgie ist eine Zusammensetzung zweier | |
altgriechischer Wörter und bedeutet wörtlich übersetzt soviel wie | |
Heimkehr-Schmerz. Damit wurde vor über dreihundert Jahren zunächst ein | |
krank machendes Heimweh bezeichnet. | |
Heute bezeichnen wir damit eine Sehnsucht nach vergangenen Zeiten, die | |
vermeintlich besser waren. Kollektive Nostalgie gegen kollektive depressive | |
Verstimmungen gibt es überall: Von meiner Oma, die davon schwärmt, wie man | |
früher noch in jedem Lokal rauchen durfte, über die Technoleute, die von | |
günstigen Eintrittspreisen und besseren Vibes erzählen, na ja, bis hin zu | |
Politikern. | |
Die einen schwelgen in „Ostalgie“, die anderen verklären eine Epoche der | |
deutschen Geschichte, die wohl wirklich niemand ein zweites Mal erleben | |
möchte, oder?!. Wieder andere träumen von den „guten alten Zeiten“, in | |
denen die Frau gerne am Herd stand und es der Wirtschaft noch gut ging. Und | |
links von allen glaubt man weiter an die Kraft einer Arbeiterbewegung. | |
Selbst die, die sich „fortschrittlich“ nennen, halten an einer | |
Schuldenbremse fest, die sowas von 2009 ist. (Ja, 2009 ist tatsächlich | |
schon 15 Jahre her!) Und die anderen vermeintlich Progressiven rufen immer | |
noch „Schwerter zu Pflugscharen“, während gefühlt der Rest der Welt am | |
Aufrüsten ist. | |
## Angst vor Wandel | |
Alle wollen sie nur zurück. Halten an längst Vergangenem fest. Als gäbe es | |
nur noch die glorreiche Vergangenheit, in der man Lösungen für unsere | |
Probleme finden könnte. Und als wäre der Peak allen Fortschritts und | |
möglicher kultureller Entwicklung schon längst erreicht gewesen. Klingt für | |
mich schon irgendwie nach krank machendem „Heimweh“. | |
Warum scheint es so schwer zu sein, der Gegenwart ins Auge zu blicken? | |
Haben die wirklich alle solche Angst vor Veränderung, vor Wandel, | |
Unsicherheit? Dass sie absichtlich verdrängen, dass dieses „Früher war | |
alles besser“ nur eine Lüge unseres Gehirns ist, das eben gerne Erlebtes | |
filtert und schöne Erinnerungen lieber abspeichert als schlechte? Und werde | |
ich auch so werden, in ein paar Jahren, wenn ich merke, dass die jungen | |
Jahre vorbei sind und nur noch die Erinnerung daran bleibt?! | |
Ich stocke. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich mich gerade etwas | |
reinsteigere. | |
Die beiden alten Clubgänger sind inzwischen vor lauter wärmenden | |
nostalgischen Gefühlen richtig ins Schwitzen gekommen. Er – rot angelaufen | |
– redet ununterbrochen auf sie ein, während sie sich immer heftiger Luft | |
zufächelt. Er ist jetzt bei den „neuen Generationen“ angekommen, die ja | |
auch kaum mehr raven gehen, und dass die Clubs dadurch am Aussterben seien. | |
„Zeiten ändern sich halt“, sagt er dann resigniert, als hätte er rein gar | |
nichts mit dem Ganzen zu tun. Beide schweigen. | |
„Ich habe leider keinen DeLorean für euch, mit dem ihr zurück in die | |
Zukunft fahren könntet“, sage ich. | |
Die Oma-Raverin verwandelt selbst meinen subtilen Sarkasmus noch in | |
Nostalgie und ruft begeistert: „Oh ja, geiler Film mit dem DeLorean. Waren | |
einfach bessere Filme damals.“ | |
Vielleicht hat sie ja Glück, denke ich mir nur, und es gibt „Zurück in die | |
Zukunft“ bald mal wieder bei Netflix. | |
18 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /!v=8ce19a8c-38e5-4a30-920c-8176f4c036c0/ | |
## AUTOREN | |
Ruth Lang Fuentes | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |