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# taz.de -- Erdoğan ist nun seinem Traum nahe
> Nach dem Sturz des Assad-Regimes schaut die Türkei vor allem auf zwei
> Aspekte: die Rückführung einer großen Zahl syrischer Flüchtlinge und die
> Entwicklungen in den kurdischen Gebieten
Aus Istanbul Jürgen Gottschlich
Samstagabend in der Fatih-Moschee in der Altstadt Istanbuls. Tausende
drängen sich in die Moschee, versammeln sich auf dem großen Platz vor dem
Gebetshaus. Hier, am traditionellen Versammlungsplatz der Islamisten,
feiern am Samstagabend türkische und syrische Islamisten gemeinsam den
bevorstehenden [1][Sieg über das Regime von Baschar al-Assad]. Noch steht
die Flucht von Assad am Sonntagmorgen bevor, doch die Stimmung in der
Fatih-Moschee ist schon völlig siegesgewiss. Bereits am Vortag hatte
Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei einer Veranstaltung seiner AKP in
Gaziantep, der größten türkischen Stadt in der Nähe der syrischen Grenze,
in der bis zu 500.000 syrische Flüchtlinge leben, verkündet, der Vormarsch
der HTS-Kämpfer und ihrer Verbündeten werden ohne große Kämpfe bis Damaskus
weitergehen. Hatte Erdoğan in den Tagen zuvor noch an Baschar al-Assad
appelliert, er müsse politisch auf die Opposition zugehen, war innerhalb
der türkischen Regierung offenbar Freitag bereits klar, dass die Armee des
syrischen Diktators keinen ernsthaften Widerstand mehr leisten würde.
Erdoğan, der die islamistische HTS in Idlib jahrelang unterstützt hat, ist
nun seinem Traum nahe, den er bereits bei Ausbruch des syrischen
Bürgerkriegs 2011 geäußert hatte: in der Umayyaden-Moschee in Damaskus
beten. Wohl noch wichtiger für Erdoğan und seine AKP- Regierung aber sind
zwei andere mögliche Entwicklungen, die sich aus dem Zusammenbruch des
Assad-Regimes ergeben können: erstens die Rückführung einer großen Zahl
syrischer Flüchtlinge, von denen derzeit über 3 Millionen in der Türkei
leben; und zweitens die syrischen Kurden hinter den Euphrat nach Osten
zurückzudrängen. Unmittelbar nach der Eroberung Aleppos durch die HTS
herrschte unter den Kurden in Aleppo nackte Panik. Aus Angst vor den
Islamisten flüchteten zehntausende in Richtung kurdisches Autonomiegebiet
nach Osten; aus Aleppo, aber auch aus Tal Rifat im Norden von Aleppo, das
nach der Eroberung von Afrin durch türkische und protürkische syrische
Milizen im Januar 2018 noch von kurdischen Kräften gehalten wurde.
Mittlerweile hat es zwar erste Kontakte zwischen der Führung der Kurden und
dem HTS gegeben, bei denen man sich versicherte, gegenseitig nicht
anzugreifen, doch die „Syrische Nationale Armee“, die Erdoğan praktisch
direkt unterstellten Milizen, halten sich nicht daran. Im Auftrag Ankaras
greifen sie die kurdisch-syrischen YPG-Milizen weiterhin mit dem Ziel an,
Manbidsch zu erobern, die größte Provinzhauptstadt westlich des Euphrats,
die von den syrischen Kurden kontrolliert wird. Die Kämpfer der „Syrischen
Nationalen Armee“ hätten bereits 80 Prozent von Manbidsch unter ihre
Kontrolle gebracht, melden die türkischen Nachrichtensender CNN-Türk und
NTV am Sonntagnachmittag. Stattdessen haben ganz im Süden des kurdischen
Autonomiegebietes die YPG-Milizen die zuvor noch von Assad-Truppen
kontrollierte Großstadt Deir al-Sor am unteren Euphrat, fast an der Grenze
zum Irak, erobert. Noch ist nicht absehbar, wie weit Erdoğan seine Proxis
schicken wird und wie die Grenzen der kurdischen Region am Ende aussehen
werden. Zwar gab es am Sonntag auch Bilder von Freudenfeiern aus den
syrischen kurdischen Gebieten, doch ob die ersten Absprachen zwischen der
HTS und den Kurden sich tatsächlich bis zu einer Einigung auf jeweilige
territoriale Einflusszonen entwickeln werden, ist noch völlig offen.
Neben den Kämpfen mit den Kurden schaut man in der Türkei nun vor allem
nach Aleppo. Ein großer Teil der syrischen Flüchtlinge in der Türkei
stammen von dort, der zweitgrößten Stadt Syriens. Hier wird sich als Erstes
zeigen, was die Ankündigungen der HTS, sie wolle für Ruhe, Ordnung und
Sicherheit für alle ethnischen und religiösen Gruppen Syriens sorgen,
wirklich wert sind. Erdoğan wird sie dabei in Aleppo jedenfalls nach
Kräften unterstützen, weil damit die größte Chance entstehen würde, dass
tatsächlich viele Flüchtlinge freiwilligzurückgehen.
9 Dec 2024
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## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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