# taz.de -- taz FUTURZWEI: Stimme meiner Generation: „Das ist doch Bullshit“ | |
> Lohnt es sich überhaupt noch, für eine „bessere Welt zu kämpfen“? Und … | |
> genau soll das gehen? | |
Bild: Der Gefühlszustand unserer Kolumnistin in den letzten Wochen | |
[1][taz FUTURZWEI] | „Ich frage mich, ob sich das überhaupt noch lohnt | |
irgendwie zu versuchen, nachhaltig zu leben. Oder glaubst du wirklich, dass | |
sich dadurch überhaupt noch was groß ändern lässt?“ Der Typ, den ich vor | |
etwa zwei Minuten bei dieser Hausparty kennengelernt habe, ist etwa Mitte | |
zwanzig. Ich vermute, er ist vor wenigen Jahren mal begeisterter | |
Fridays-Demonstrant gewesen. Jetzt steht er mit mir und einer Bierflasche | |
in der Hand in der Küche und schaut mich ernsthaft besorgt an. | |
Eigentlich hatte ich gedacht, es wäre lustig, einen Witz darüber zu machen, | |
dass Christian Lindner jetzt arbeitslos ist. So als witzigen Eisbrecher. | |
Doch dann hat sich das innerhalb weniger Sätze in eine eher | |
party-ungeeignete Richtung entwickelt. Warum kann der Ex-Fridays-Typ nicht | |
einfach über Lindner lachen? | |
Und sowas sagen wie „Krass, geht’s da grad ab im Bundestag. Aber immerhin | |
ist mal was los.“ Stattdessen sagt er: „Warum überhaupt noch irgendwie | |
aktiv werden? Ich mein, bringt ja eh nix. Die Leute wählen trotzdem die | |
Scheiß-Parteien.“ Er hat ja Recht, aber ... | |
„Was wäre denn die Alternative?“ sage ich vielleicht etwas zu brüsk. Er | |
schaut mich wirklich verzweifelt an: „Keine Ahnung. Einfach auch wie alle | |
anderen mehrmals im Jahr irgendwohin fliegen. Ich meine, wenn eh alles den | |
Bach runtergeht …Wenn die Mehrheit es so will, dass sollen sie die Rechten | |
halt machen lassen ...“ | |
## Motivationsrede an mich selbst | |
„Das ist doch Bullshit“, sage ich. Und höre mir plötzlich zu, wie ich | |
verteidige, woran ich selbst oft gar nicht mehr glaube: dass wir alle auch | |
Eigenverantwortung tragen, dass man ja nicht einfach so seine Ideale | |
verraten kann, nur weil es mal nicht so gut läuft. Dass ja noch längst | |
nicht alles verloren ist, gerade jetzt sei es doch so wichtig, nicht | |
aufzugeben. | |
Und dass wir ja nicht alleine sind mit dem Glauben an eine bessere Welt, | |
dass wir eigentlich auch mehr sind als die anderen, dass es wichtig ist, | |
den Diskurs zu führen, auch mit denen, denen wir nicht unbedingt zustimmen, | |
ja, gerade mit denen! | |
Ganz nüchtern bin ich offenbar nicht mehr. Ich nehme noch einen Schluck | |
Bier, um mich etwas zu bremsen. Ideale nicht verraten, bessere Welt: Ich | |
klinge wie ein Motivationscoach, denke ich mir. Aber einer, der komplett | |
verloren ist und nur noch versucht, sich selbst zu motivieren. | |
Mein Gegenüber starrt mich ziemlich perplex an. Nickt dann matt und sagt | |
nichts mehr. Was ist nur los mit mir? Ich empfinde doch oft genauso wie er, | |
eigentlich jeden Morgen schon beim Frühstück, wenn ich mir die Nachrichten | |
im Radio anhöre: Trump und Musk als so eine Art Doppelspitze für die USA, | |
ein Bald-Kanzler Merz, der eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen | |
„skandalös“ findet, aufgebrachte Bürger in einem Vorort von Valencia, die | |
ihre Regierung und das Königspaar mit Schlamm bewerfen, weil ihre | |
Existenzen durch das Hochwasser zerstört sind. | |
## Wenn es nur so einfach wäre ... | |
Manchmal wünsche ich mir tatsächlich, die Lösung wäre so einfach; dass man | |
einfach Weidel, Trump und Co. mit Schlamm bewerfen könnte und das Problem | |
wäre gelöst. | |
Ist leider nicht so. | |
Um dem unangenehmen Schweigen zu entkommen, gehe ich auf den Balkon, zünde | |
mir eine Zigarette an und starre etwas benebelt auf mein Handy, scrolle auf | |
Instagram. Wenigstens da finde ich noch ein paar lustige Lindner-Memes. | |
Doch das Gespräch in der Küche gerade geht mir nicht aus dem Kopf: Es ist | |
keine sechs Jahre her, da stand ich noch auf der Fridays Demo und glaubte | |
an eine Bewegung, die endlich was verändern könnte. Und vor drei Jahren | |
glaubten wir sogar an eine mögliche rot-grün-rot Regierung. Die kam zwar | |
nicht, aber wir glaubten weiter an „Fortschritt“, an liberale Demokratien | |
und progressive Werte. | |
„Wer soll dieses Wir eigentlich sein?“ höre ich die Journalistin in meinem | |
Kopf sagen. Na, wir halt, die mit den besseren Argumenten, die wollen, dass | |
es den Menschen auf diesen Planeten gut geht, die an Vernunft und ein | |
friedliches Miteinander glauben, an Gleichberechtigung. Das sollte doch | |
eigentlich die Mehrheit sein, oder? Oder?! | |
„Und das glaubst du wirklich?“ hakt die Journalistin in meinem Kopf nach | |
und ich habe irgendwie das Gefühl, sie lacht mich aus. | |
## Wo nur sich engagieren? | |
„Das politische Interesse von Jugendlichen ist in den letzten Jahren | |
deutlich angestiegen. Aktuell bezeichnen sich 55 Prozent von ihnen als | |
politisch interessiert“, hatte ich letztens in der neuen Shell-Studie | |
gelesen. Und weiter: „Es hat nicht den Anschein, als ob das politische | |
Interesse sowie die Bereitschaft zum Engagement ein kurzfristiger und | |
medial verbreiteter Effekt einer vermeintlichen ‚Generation Greta' waren, | |
die unter sich ändernden Rahmenbedingungen jetzt wieder abebben würden.“ | |
Es scheint also doch genug Leute zu geben, die bereit wären, sich zu | |
engagieren. Aber wo? Und wie? Und wofür? | |
Eine Kachel auf Instagram unterbricht meine Gedanken: „Komm ins Team | |
Robert.“ Daneben ein Foto von Robert Habeck mit nicht ganz so müdem | |
Gesichtsausdruck wie in den letzten Wochen. Er krempelt die Ärmel hoch. | |
Kurz ist die Hoffnung wieder da, ich sehe mich im Team Robert, mit | |
hochgekrempelten Ärmel für das Gute kämpfen. | |
Moment! Bei den Grünen? Das geht ja gar nicht. Waren es nicht sie, die | |
zugelassen haben, dass Lützerath abgebaggert wird? Die Gas-Deals mit Katar | |
eingehen? Es ist nicht lange her, dass der Vorstand der Jungen Grünen | |
geschlossen aus der Partei ausgetreten ist, um eine richtige linke Partei | |
zu gründen. Da kann ich doch nicht jetzt bei Team Robert einsteigen? Oder | |
doch? | |
Oder vielleicht doch lieber sich bei dieser neuen linken Bewegung der | |
ehemaligen grünen Jugend engagieren? Gefahr laufen, dass sich die | |
links-grüne Bubble noch mehr zerfasert, also die Bubble, zu der der | |
Fridays-Typ und ich wohl gehören? Oder noch schlimmer: sich zurückziehen, | |
selbstgefällig an vermeintlichen Idealen festhalten und die Zukunft der | |
Welt den anderen überlassen? | |
## Scheiße, ist das alles überfordernd! | |
Ich merke: Ich komme nicht richtig weiter und meine Zigarette ist aus. | |
Plötzlich steht der Typ von vorhin neben mir auf dem Balkon. „Du hast | |
Recht, jetzt aufgeben ist totaler Bullshit.“ Er zündet sich auch eine | |
Zigarette an. „Aber scheiße, ist das alles überfordernd manchmal.“ | |
„Unsere Zukunft ist mir aber trotzdem wichtig“, sage ich angemessen | |
pathetisch. „Und die ändert sich sicher nicht zu unseren Gunsten, wenn wir | |
auf irgendwelchen Hauspartys deprimiert auf unser Recht bestehen.“ | |
„Aber auch nicht mithilfe von Christian-Lindner-Memes.“ | |
„Hellt aber etwas die Untergangsstimmung auf.“ | |
Wir müssen beide lachen. Immerhin. | |
■ [2][„Stimme meiner Generation“ – die Gen-Z-Kolumne] des Magazins taz | |
FUTURZWEI, geschrieben von Ruth Lang Fuentes und Aron Boks, erscheint in | |
loser Folge auf [3][tazfuturzwei.de] . | |
27 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Ruth Lang Fuentes | |
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