# taz.de -- Spröder wird’s nicht | |
> Die Bremer Band „Spröde Lippen“ hat ein neues Album in der Mache. Das | |
> kann man in der Schwankhalle schon hören, wo es sich zurzeit noch als | |
> Theaterstück tarnt: Von seiner eigenen 13-jährigen Geschichte gibt das | |
> Kollektiv mit dem Musical über sich selbst zuverlässig nichts preis | |
Bild: Gerade im Herbst sind trockene Lippen ein Thema für die große Bühne | |
Von Jan-Paul Koopmann | |
Dass sich Pop-Bands auf Bühnen stellen, ist erst mal nicht weiter | |
ungewöhnlich. Und das bleibt auch dann so, wenn man noch nachträgt, dass | |
diesmal von einer Theaterbühne die Rede ist, wie jetzt halt die der im | |
Sommer mit dem Theaterpreis des Bundes ausgezeichneten Bremer Schwankhalle. | |
Längst sind ja die alten Grenzen dahin: Theatersäle gelten als beliebte | |
Spielstätten für Pop-Konzerte, Pop-Musik begleitet circa jede zweite | |
Schauspielproduktion, Pop-Musiker wie Goldene-Zitronen-Sänger Schorsch | |
Kamerun inszenieren mit größter Selbstverständlichkeit Bühnenstücke. | |
Umgekehrt sind szenische Porträts von Bands und Musiker:innen – nicht | |
nur am Bremer Theater heißt das Format „Liederabend“ – schon vor ein paar | |
Jahren zu einträglichen Publikumsmagneten avanciert. | |
Doch obwohl die Zutaten so neu also nicht sind, darf man zum kommenden | |
Wochenende in Bremen trotzdem ein bisschen hibbelig werden. Auf der Bühne | |
geht es diesmal nämlich nicht um die Geschichten von Bowie, Cohen oder | |
Lennon – sondern um die kleine Lokalgröße „Spröde Lippen“. | |
Unter dem nicht nur interpunktionsmäßig sperrigen Titel „Spröde Lippen: | |
Wort Ton Bild – Das Musical“ hat die Bremer Band ein Theaterstück | |
konzipiert, das ein bisschen was von ihrer 13-jährige Historie verrät und | |
dabei genau das aber irgendwie auch vermeidet. Es kommen keine Eckdaten | |
vor, kein Plattentitel, nicht mal echte Namen. Was es aber gibt, ist ein | |
autobiografisch gesponnener roter Faden, der auf der Bildebene von einem | |
Wasserschaden im Keller handelt und sich ohne größere geistige Verrenkungen | |
lesen lässt als ein assoziatives Grübeln übers soziale Miteinander in | |
Zeiten aufweichender Fundamente. | |
Das klassische Sujet von „Spröde Lippen“ also, deren weit offene | |
Sprachbilder sich sonst über knarzigen Gitarrensound und ruppige | |
Stimmarbeit vermitteln. Die genaue Genrebestimmung ist dabei nicht so ganz | |
einfach, aber Post-Punk ist zumindest nicht völlig falsch. Manche | |
Sortierprofis auf der Plattform last.fm sagen auch „riot grrrl“ dazu, oder | |
„lo-fi-madness“, was ganz besonders apart klingt. | |
Es ist jedenfalls eine minimalistische Musik, die ganz besonders | |
melancholisch gerade dann klingt, wenn sie wütend wird. Zu hören ist das | |
dann auch in diesem Theaterstück: Neben einem einzelnen musikalischen | |
Selbstzitat von früher gibt’s reihenweise neue Songs, die hier auch | |
aufgezeichnet und demnächst als neues Album veröffentlicht werden. | |
Drumherum versammeln sich auf der Bühne Tanzeinlagen und vorproduzierte | |
Videoeinspieler der „Spröden Lippen“ – und von Wiebke Mertens gesprochene | |
Lyrik. Wer die Gastperformerin sonst eher als bildende Künstlerin verortet | |
hätte, liegt damit übrigens völlig richtig: Denn „Spröde Lippen“ sind ja | |
mindestens so sehr in Bremens Kunstszene verstrickt wie in die | |
musikalische. | |
Mit Blick auf die Lippen-Vitae könnte man ein bisschen dummdreist sogar | |
sagen: Hier stehen hoch qualifizierte Malerinnen, die sonst laienhaft Musik | |
machen und weder Schauspiel, Tanz noch Dramaturgie gelernt haben. Genauso | |
wahr ist allerdings auch, dass gerade diesem bewussten, aber nicht plakativ | |
ausgestellten Dilettantismus eine Kraft innewohnt, die der in die Jahre | |
gekommen Post-Punk-Pop-Betrieb sonst höchstens noch in kurzlebigen | |
Retro-Spektakeln erahnen lässt. | |
„Spröde Lippen: Wort Ton Bild – Das Musical“ feiert am Freitag Premiere … | |
wird auch dann noch stolz Ecken und Kanten präsentieren, wie hand- und | |
selbstgemachte Kunst sie eben so hat. Trotzdem wirkte das Stück schon am | |
Mittwochabend bemerkenswert fertig, als Musik, Videos, Kostüme, Bühnenbild | |
und Text zum ersten Mal überhaupt vollständig vorlagen zur Probe. | |
Hier und da wird gerade noch geschraubt, aber schon jetzt ist klar, dass | |
die Musik durch ihre Rahmung ganz eigene und neue Dynamiken entwickelt. Zum | |
Beispiel: Das gemeinsam Regie führende Bandkollektiv performt zwar | |
äußerlich und formal gar nicht so weit weg von ihrem üblichen | |
Konzertprogramm. Es lässt aber den Einzelpositionen der vier Musikerinnen | |
viel mehr Raum. Zum Teil ist das klar ironisch und täuscht die Wahrheit | |
höchstens an: Wenn in den Videos etwa Reality-TV-mäßig allein mit der | |
Kamera über die anderen und den Stand der Dinge gemosert wird. Oder | |
pointierter noch, als eine Nachrichtensendung auf dem Bildschirm mit dem | |
Netflix-Jingle eröffnet wird. | |
Das ist lustig, so wie wohl der ganze Abend etwas heiterer ausfällt als ein | |
normales „Spröde Lippen“-Konzert. Nur geht das Spiel um | |
Fake-Authentizitäten mit der Zeit dann doch ans Eingemachte. Weil so eine | |
Show ums Ich, ums Wir und ums Befinden ja eben nicht nur Musikerinnen und | |
Schauspielerinnen machen, sondern wir alle. Und spätestens mit unterkühlten | |
und brüchigen Seelenzuständen wären wir dann wirklich bei der Kernkompetenz | |
von „Spröde Lippen“ angekommen. | |
Premiere „Spröde Lippen: Wort Ton Bild – Das Musical“: 29. und 30. 11., … | |
Uhr, sowie 1. 12., 18 Uhr, Schwankhalle, Bremen | |
29 Nov 2024 | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |