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# taz.de -- berliner szenen: Warme Zeichen der Bewohntheit
Es ist dunkel. Drinnen wie draußen fehlt Licht. Die Buchstaben vor mir kann
ich so nicht mehr erkennen. Gegenüber leuchten mir Fenster entgegen. Ihre
Wärme, dieses Zeichen der Bewohntheit, spendet mir Trost. Der Laden im
Parterre hat geschlossen, seine Auslage verspricht Orthopädisches für den
Fuß. Darüber grelle Büroräume. Die wenigen, die dort noch sitzen, bleiben
regungslos. Im zweiten Stock scheint eine Gestalt, die ein Zimmer verlässt,
um ein anderes zu betreten, beim Durchqueren des Flurs Strecke zu machen.
Ich denke an die Postkarte, die ich M. nach einem gemeinsamen Museumsbesuch
geschenkt habe. Auf ihr die Statue eines Mannes. Nackt auf einem Sockel im
Schnee sitzend, sieht es aus, als würde er die erleuchteten Fenster hinter
sich betrachten.
„Fühle ich mich einsam, beruhigt es mich zu wissen, dass in den
erleuchteten Fenstern um mich herum Leben stattfindet. Gerade jetzt,
gleichzeitig“, sagte M. einmal, als wir aus seinem Erdgeschoss blickten.
Erleuchtete Fenster tauchten den dunklen Hinterhof in warme Schatten.
Beim Anblick der erleuchteten Fenster gegenüber spüre ich Tränen
aufsteigen. Wie gern wäre ich wieder bei M. im Erdgeschoss. Immer noch
halte ich mein Buch halb vors Gesicht. Von außen sehe ich vermutlich
konzentriert aus, dabei kann ich keine Zeile erkennen. „Hier“, sagt der
ältere Mann neben mir. Bis gerade blätterte er in einem Stapel
ausgedruckter Seiten, eine Stirnlampe leuchtete ihm. Smart, dachte ich
noch. Jetzt hält mir der Mann seine Lampe hin und zu meiner Trauer mischt
sich Dankbarkeit.
„Glück kann man auch in den dunkelsten Zeiten finden, wenn man sich nur
daran erinnert, das Licht einzuschalten“, kommt mir ein Zitat in den Sinn.
Ich knipse die Lampe an. Sophia Zessnik
25 Nov 2024
## AUTOREN
Sophia Zessnik
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