# taz.de -- Ein klingender Bogen | |
> Jordi Savall, Waed Bouhassoun und ihre Ensembles verzauberten das | |
> Publikum im Pierre Boulez Saal mit Musik aus dem Mittelmeerraum und | |
> Vorderasien | |
Von Katharina Granzin | |
Im Krieg sind nicht nur die Menschen, sondern auch die Künste in ihrer | |
Existenz bedroht. So wurden während des Bürgerkriegs in Syrien viele | |
Menschen aus dem Land vertrieben, die zuvor eine aktive Rolle im | |
Kulturleben gespielt hatten. Um trotz aller politischen Verwerfungen in der | |
Region deren Musik am Leben zu halten und den grenzüberschreitenden | |
künstlerischen Dialog nicht abreißen zu lassen, gründete [1][der | |
unermüdliche katalanische Gambist, Dirigent und Musikethnologe Jordi | |
Savall] im Jahr 2016 das Ensemble Orpheus 21. Darin kommen MusikerInnen | |
zusammen, die die Erfahrung eines Lebens im unfreiwilligen Exil teilen, um | |
gemeinsam Musik aus ihren jeweiligen Heimaten zu spielen und ihr Wissen | |
weiterzugeben. Als Leiterin des Projekts fungiert von Beginn an die | |
syrischstämmige Sängerin und [2][Oud]-Spielerin Waed Bouhassoun, die schon | |
lange vor Kriegsbeginn in Frankreich lebte und sich von dort aus dafür | |
engagiert, dass die reiche musikalische Tradition Syriens bewahrt wird. Die | |
künstlerische Leitung von Orpheus 21 teilt sie sich mittlerweile mit ihrem | |
Landsmann Moslem Rahal. | |
Moslem Rahal ist es, der mit seiner Ney, der traditionellen syrischen | |
Flöte, das Konzert am Donnerstag im Pierre Boulez Saal einleitet, an dem | |
Orpheus 21 mit Savall und dessen Ensemble Hespèrion XXI auftritt. Vom | |
Bühneneingang aus gemessen einherschreitend wie ein flötender Hirte, | |
gewinnt Rahal mit seinem Eingangssolo, dem ostsyrischen „Shaouia“, sogleich | |
die elektrisierte Aufmerksamkeit des gesamten Saals. Den ausdrucksvollen | |
Tonkaskaden der Ney schließen sich die Schlaginstrumente an, übernehmen | |
einen immer aktiveren Part, bis aus dem Solo eine schwungvoll rhythmisierte | |
Ensemblenummer geworden ist, die von der Ney abgeschlossen wird und an die | |
sogleich, wie in einer Antwort auf das musikalisch Gesagte, Jordi Savall | |
mit seiner Fidel das Gespräch mit einem solistischen Beitrag fortsetzt. | |
Es sind die ersten Takte einer melancholischen sephardischen Melodie, die | |
ebenfalls in eine Ensemblenummer mündet und diesmal die gesamte Gruppe mit | |
einschließt. Dieses Stück trägt den Namen „La Rosa enflorece“. Danach | |
verliert sich allmählich die Übersicht der Zuhörerin über die im | |
Programmheft angegebene Nummernfolge; denn die aus verschiedenen Regionen | |
stammenden Stücke folgen fast immer attaca aufeinander, und die | |
musikalische Dramaturgie sieht fließende Übergänge vor, die bewirken, dass | |
sich ein großer klingender Bogen formt, dem man beim Zuhören bald nur zu | |
gern wie in Trance folgt. | |
Die Abfolge von Ensemblepassagen und Soli – darunter berührender Gesang der | |
iranischen Sängerin Nazanin Saveh und ihres syrischen Kollegen Rebal | |
Alkhodari – hat eine narrative Anmutung, und die Wiederholung musikalischer | |
Muster in immer neuen Variationen wirkt häufig mitreißend spontan | |
improvisiert, was es in Teilen wohl auch ist. | |
Am Ende teilt Savall dem Publikum mit, dass es ihn seltsam berühre, | |
fröhliche Musik zu spielen, während zur selben Zeit Menschen in Kriegen | |
sterben. Er widme ihnen das Konzert. | |
25 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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