# taz.de -- taz FUTURZWEI: Stimme meiner Generation: Gendern ist doof! | |
> Wenn unser Kolumnist Aron Boks mit alten Linken zusammensitzt, fangen die | |
> regelmäßig an, übers Gendern zu schimpfen. Was ist ihr Problem? | |
Bild: Oft sind es ältere Leute, die Gespräche übers Gendern beginnen und sic… | |
[1][taz FUTURZWEI] | Sandra findet Gendern doof. Das sagt sie auch ganz | |
offen auf der Bühne. Sie ist 70 Jahre alt, Schriftstellerin und diskutiert | |
bei einer Lesung mit dem Ende-50-jährigen Journalisten Reiner. | |
Mathilda und ich sitzen im Publikum und gucken zu. | |
Beim Thema Gendern sind Sandra und Reiner sich in ihrer Ablehnung einig und | |
uns ist das egal. Nur plötzlich schüttelt so ein barfüßiger Typ in der | |
ersten Reihe ganz spöttisch den Kopf. | |
Er will auch nicht mit Sandra diskutieren. „Das bringt eh nichts!“ sagt er | |
und verlässt den Raum. Mathilda und ich sitzen später mit Reiner und Sandra | |
an der Bar. | |
## Wo gibt es Sprechverbote? | |
„Naja, war doch ein schöner Abend“, brabble ich freundlich. Doch schon geht | |
es los. | |
„Und wie stehst du dazu, dass für euch in Prüfungen ja inzwischen die | |
Pflicht besteht zu gendern?“ fragt Reiner Mathilda. | |
„An meiner Universität besteht keine Pflicht, in Prüfungen zu gendern“, | |
sagt Mathilda so nüchtern, als wäre sie die offizielle Pressesprecherin der | |
GenZ. | |
Ständig wird Mathilda dazu von Älteren befragt. Das scheint für die eine | |
große Sache zu sein. Vor Kurzem hat die Zeit deswegen eine Recherche | |
rausgebracht, die öffentliche Hochschulen, Unis und 5000 Studierende | |
befragt hat. | |
Das Ergebnis: In 98 Prozent der Fälle gibt es keine Genderpflicht bei | |
Hochschulprüfungen. | |
„Noch nicht!“ bemerkt Sandra sofort. | |
„Was wollen die mit ihrem Gegendere überhaupt?“ fragt Reiner aufgebracht. | |
„Wir sollten uns um wichtige Themen kümmern! Aber nicht ums Gendern!“ | |
„Wir haben doch viel Wichtigeres zu tun!“ | |
„Ja, sag ich doch!“ | |
Obwohl sie viel Wichtigeres zu tun haben, kreist das Gespräch weitere | |
dreißig Minuten um nichts anderes. | |
Seltsam, denke ich – Sandra und Reiner kommen ihrem Selbstverständnis nach | |
aus einer progressiven Linken und sind an der Komplexität der Welt | |
interessiert, aber sobald sie mit uns jungen linken Menschen | |
zusammensitzen, fahren sie die Ellbogen aus und wehren sich schon mal | |
prophylaktisch gegen das Gendern. | |
„Ich werde in meinen Texten ganz sicher nicht von Gästinnen schreiben“, | |
brummt Sandra. „Das klingt doch einfach scheiße!“ | |
„Ja und wem würde das auch helfen?“ fragt Reiner. „Dem ASTA-Plenum, das | |
sich selbst beklatscht, wenn es Wissenschaftlerinnen auslädt? Toll!“ | |
## Wer ist fürs Gendern? | |
Die Bar leert sich, und eigentlich wäre es schön gewesen, auch über etwas | |
anderes zu sprechen. | |
Überhaupt etwas zu sagen, weil eigentlich reden nur Reiner und Sandra. | |
Meistens werden diese Genderdiskussionen ja gar nicht von jungen Leuten | |
angefangen, denke ich. Oft sind es Ältere, die davor warnen, dass es | |
jungen, linken Menschen inzwischen nur noch darum gehe, wie man korrekt zu | |
sprechen hat. | |
Dabei zeigt die aktuelle [2][Shell-Jugendstudie], die Menschen zwischen 18 | |
und 25 Jahren befragt, dass 42 Prozent von ihnen Gendern (völlig oder eher) | |
ablehnen, nur 22 Prozent sind (völlig oder eher) dafür – und 35 Prozent ist | |
das Thema völlig schnurz. | |
Trotzdem entwickeln sich zwischen älteren linken Intellektuellen oft | |
hitzige Bestätigungsgespräche, so dass sich junge Linke in verzahnten | |
Scheindebatten wiederfinden. Wir zum Beispiel. Die geben einfach keine | |
Ruhe. | |
„Und die haben da auch Diversitätsbeauftragte, wenn ich das Wort schon | |
höre“, sagt Reiner gerade. „Diversitätsbeauftragte sind wie | |
Rassismusbeauftragte und müssen immer Ungerechtigkeit aufzeigen, damit sie | |
eine Daseinsberechtigung haben, aber wirklich notwendig sind sie nicht!“ | |
Echt? Das Argument hat man ja noch nie gehört! | |
„Na ja, an unserer Hochschule ist seit über 20 Jahren intern bekannt, dass | |
ein [3][Dozent Frauen verbal sexuell belästigt] hat und die Hochschule hat | |
ihm erst in diesem Jahr gekündigt“, versucht Mathilda noch einmal ernsthaft | |
in das Gespräch einzusteigen. | |
„Dafür gibt es die Polizei“, kontert Reiner sofort. „Das ist eine | |
Straftat.“ | |
„Ja, und die wird durch das Gendern auch nicht gelöst!“ ergänzt Sandra. | |
Ich fühle mich richtig müde und Mathilda auch. Wir sagen, dass wir jetzt | |
leider ins Bett müssen. | |
„Ach ihr geht schon?“ sagt Reiner bedauernd. „Jetzt kamen wir gar nicht z… | |
Reden.“ | |
## Was fürchten Leute beim Gendern? | |
Vielleicht fürchten die älteren Gendergegner insgeheim den lächelnden | |
Kopfschüttler von vorhin an allen Ecken ihres Alltags, denke ich. Tausend | |
spöttische Augen, die sie abscannen, wenn sie über das Leben, den Alltag | |
sprechen. Köpfe, die sich spöttisch im Rhythmus einer chinesischen | |
Winkekatze unablässig schütteln und stumm zeigen: | |
Du bist alt! | |
Du bist peinlich! | |
Du denkst falsch! | |
Aber ehrlich gesagt treffe ich kaum solche militanten Wokies, die sich in | |
irgendwelchen Anti-Jürgen-Seminaren radikalisieren und jeden für immer | |
canceln, der sich nicht an ihre Sprachregeln hält, weil sie meinen, nur das | |
würde die Welt gerechter machen. Aber klar, die gibt es sicher. | |
Genauso selten treffe ich Menschen, die mit jedem Mal, das sie nicht | |
gendern ganz bewusst unterstreichen wollen, dass sie die strukturelle | |
Benachteiligung von Männern und Frauen gutheißen, bewahren und | |
Transmenschen sowieso ausschließen wollen und nichtbinäre Menschen hassen. | |
Auch die gibt es sicher zu Genüge, das ganze Internet ist voll mit ihnen. | |
Aber mit denen rede ich fast nie. | |
## Mit Alten sprechen | |
Viel öfter spreche ich mit den älteren Leuten, die dazwischen stehen. Die | |
in einer ungerechten und komplizierten Welt gemeinsam ratlos beisammen | |
sitzen und sich vielleicht stumm selbst befragen: | |
Wir haben doch damals schon demonstriert, warum ist die Welt noch immer so | |
scheiße ungerecht? Wir haben doch immer auf der richtigen Seite gestanden | |
und jetzt sprechen wir ungerecht und falsch? | |
Vielleicht wäre es gut zu fragen, wovor die Alten eigentlich Angst haben, | |
denke ich. Jedenfalls dann, wenn wieder so ein Generationensmalltalk in | |
eine endlose Partie Ich-gendere-Ich-gendere-nicht abdriftet. Aber nicht | |
mehr heute Abend. | |
„Sorry, Leute, ich habe heute nicht mehr so viele Kapazitäten“, sage ich | |
und stehe auf. Reiner klopft mir auf die Schulter und sagt: „Die Jugend | |
hält doch nichts mehr aus!“ | |
Jetzt klingt er irgendwie zufrieden. | |
■ [4][„Stimme meiner Generation“ – die Gen-Z-Kolumne] des Magazins taz | |
FUTURZWEI, geschrieben von Ruth Lang Fuentes und Aron Boks, erscheint in | |
loser Folge auf [5][tazfuturzwei.de]. | |
7 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] http://tazfuturzwei.de | |
[2] https://www.shell.de/ueber-uns/initiativen/shell-jugendstudie-2024.html | |
[3] /Sexualisierte-Gewalt-an-der-HU-Berlin/!5984516 | |
[4] /taz-FUTURZWEI/!v=a9eb2f40-142b-4923-bb85-47d6e8b479c9/ | |
[5] http://tazfuturzwei.de | |
## AUTOREN | |
Aron Boks | |
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